Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand
Krankenhaus war, mit einem Ständer, einem Säckchen und dem Tröpfeln, und nachher starb er.
Die Tür öffnete sich, Licht fiel vom Gang herein. Eine Schwes ter in weißer Uniform blieb in der Tür stehen, ganz nah bei demjenigen, der auf dem Stuhl dort schlief, und spähte herein. Das war nicht Schwester Varda, denn sie hatte keine blonden Haare und war auch nicht dick, aber auch bei der hier drückten sich unter dem weißen Kittel die Streifen der Unterhose durch, man sah genau, wo sie endete, und auch ihre weißen Schuhe quietschten auf dem Fußboden.
Sie sieht nicht, dass Nesjas Augen offen sind, denn Nesja liegt im Dunkeln. Will schreien, beherrscht sich aber, sie weiß schließ lich, wie man schweigt. Sogar wenn sie bald stirbt. Sie ist es schon gewöhnt zu schweigen, sich zu beherrschen und alles für sich zu behalten, bis sie ganz genau geklärt hat, wo und was. »Wie steht’s«, fragt die Schwester flüsternd und tritt ohne die Antwort abzuwarten ins Zimmer. Und der Mann, der neben der Tür auf dem Stuhl sitzt, steht auf und sagt mit Peters Stimme: »Verzeihung. Ich habe einen Moment geschlafen.«
»Macht doch nichts«, sagt die Schwester zu ihm, »schlafen Sie, schlafen Sie ein wenig, schon seit Stunden haben Sie nicht ...«
Nesja macht die Augen wieder zu. »Vorher kam mir vor«, erzählt Peter der Schwester, »dass sie sich bewegt, als ob ich sogar Laute gehört habe. Vielleicht im Traum.«
»Sie ist unruhig«, stimmt die Schwester zu, »aber das ist ein gutes Zeichen, wir wollen, dass sie nicht ruhig ist, dass sie aus dem Koma kommt, das Bewusstsein wiedererlangt.«
Nur Nesja weiß, dass sie die Augen offen halten kann. Auch die Hände bewegen kann sie, sich am Kopf kratzen, aber sie wird warten, bis niemand mehr im Zimmer ist, niemand dastehen und sie anschauen wird, so wie jetzt diese Schwester dasteht. Nun hört sie ihre quietschenden Gummisohlen ganz nah, die Schwester tritt ans Bett. Sie bleibt stehen. Sie beugt sich über Nesja. Und es ist nicht mehr dunkel, ein kleines Licht brennt. Nesja presst ihre Lider gewaltsam zusammen. Die Schwester steht ganz nah, auch sie hat einen Geruch, nach Seife, aber einen guten Geruch, einen grünen Geruch. Um Nesjas Handgelenk schließt sich ein kühler Finger und drückt kräftig, so steht sie da, diese Schwester, eine lange Weile, und dann seufzt sie und notiert anscheinend etwas, denn dieses Geräusch jetzt ist das Kratzen eines Stiftes. »Vera, Vera!«, schreit draußen jemand, und die Schwester legt etwas auf Nesjas Füßen ab – eine Tafel? Ja, eine kleine Tafel – und tritt schnell auf den Flur. »Ich bin hier, bei dem Mädchen, ich messe nur den Blutdruck«, sagte sie weiter weg, und dann quietschen wieder die Gummisohlen, Nesja hört ein pumpendes Geräusch und danach wird auf ihren Arm gedrückt. Es tut weh, aber sie gibt keinen Ton von sich. Der Klang schlagartig entweichender Luft, und jemand anderer steht jetzt im Zimmer ganz nah bei ihr. Sie fühlt ihn über sich, auf der Seite und auch hinter sich, obwohl sie im Bett liegt. Ihre Augen sind geschlossen, aber sie spürt es. Jemand hält sie mit Gewalt von hinten, und eine schwere Hand legt sich auf ihren Mund, verschließt ihn erstickend. Ein Geruch nach Parfüm, der bittere, scharfe Geruch nach etwas anderem, ein Schlag, mit einem Mal sind ihre Beine auf dem Boden, und sie hustet schrecklich, will sich erbrechen. Ihre Füße schleifen über die Erde, er stößt und zerrt sie über den Bürgersteig. Der Geruch nach Auto. Er winkelt Beine ab, schiebt sie zusammen. Es tut weh. Der Lärm eines Autos. Noch ein Schlag, auf den Kopf, von hinten. Große Hände um ihren Hals. Packen sie an den Armen. Ihre Augen sind bedeckt. Eine Hand auf ihrem Mund. Eine große Hand, aber nicht hart. Rosi jault, und die ganze Zeit Dunkelheit. Alles tut weh, und der Boden ist kalt, und es ist ganz finster, und über ihr schwere Atemzüge. Sie hat Durst, und ihr ist schlecht, und um sie herum Dunkelheit, eine solche Finsternis, in der man überhaupt gar nichts sieht, nicht einmal die eigenen Hände. Sie will sich erbrechen, aber nichts kommt raus. Sie will schreien, aber sie hat keine Stimme. Nicht einmal ein Stöhnen bringt sie heraus. Sie kann die Hände nicht bewegen, etwas hält sie fest, an den Handgelenken, schnürt ein. Drückt. Auch die Hände. Eine schwere Hand liegt auf ihrem Mund, verschließt ihn, drückend, zwei Hände, der schreckliche Geruch dringt in ihre Nase, ihren Mund und unter ihre Haut, hüllt
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