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Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand

Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand

Titel: Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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Erstarrung, ich glaube, sie war sehr einsam mit unseren alten Eltern, es war eine ausgeprägte Generationskluft. Meine Mutter ist heute neunundsechzig, verstehen Sie, von der alten Ge neration, mehr wie eine Großmutter. Deswegen war Zohras Beziehung zu mir ... ein bisschen wie ein Vaterersatz, sie ist immer mit ihren Problemen zu mir gekommen, hat mit mir über ihre Schwierigkeiten, Konflikte und auch über die guten Erfahrungen gesprochen. Wir dachten daran, sie zum Studium in die Vereinig ten Staaten zu schicken, aber in der letzten Zeit hat sie sich diesen Schwachsinn in den Kopf gesetzt, na gut, nicht direkt Schwach sinn, sie wollte den jemenitischen Gesang wiederbeleben. Hat alte jemenitische Lieder gesucht, viel hat sie von meiner Mutter ge lernt, von ihr hat sie das mitbekommen. Sie hätte heute Abend sin gen sollen, um acht ... ich stand ihr näher als alle anderen«, seine Stimme wurde brüchig. »Als ich geboren wurde, war Mama acht zehn, danach kam Elijahu zur Welt, und nach etlichen Jahren, fast zehn, kam Bezalel, und Zohra war eine komplette Überraschung, ein Wunder. Ein Ersatz.«
    »Ersatz wofür?« fragte Michael.
    »Ein Ersatz für ... an Stelle ... schauen Sie, das hängt mit ... egal, das gehört jetzt nicht hierher.«
    »Alles gehört dazu«, beharrte Michael entschieden, »glauben Sie mir – es gehört alles dazu.«
    »Fragen Sie meine Mutter, ich will nicht damit anfangen.«
    »Wir werden auch Ihre Mutter fragen, aber im Moment fra gen wir Sie.«
    »Schauen Sie«, sagte Natanael Baschari mühsam, »meine Eltern ... meine Mutter ... sie ist ein Sprössling aus der letzten jemenitisch-jüdischen Oberrabbinerfamilie, und sie ... sie hatte schon Kinder verloren ...«
    »Kinder?!«
    »Ich habe es selbst nicht gewusst ... ich wusste nur, dass sie dreizehn Jahre alt war, als man sie mit Vater verheiratete, der damals, glaube ich, höchstens sechzehn war. Zohra ...« Er atmete tief ein und seufzte: »Zohra hat sich damit befasst, ich nicht und meine Brüder nicht. Sie hat Einzelheiten herausgefunden, nicht alles, aber einen Teil. Genug um ... genug, um unsere Eltern um die Ruhe zu bringen, die sie anscheinend gefunden hatten ...«
    Michael fragte, welche Einzelheiten.
    »Glauben Sie mir«, flehte Natanael Baschari, »das hat mit gar nichts auch nur irgendetwas zu tun, mit überhaupt nichts, das ist etwas, das vor mehr als fünfzig Jahren passiert ist, meine Mutter ist schon neunundsechzig, was sollen wir da ... auch zu Zohra habe ich gesagt, was müssen wir da herumstöbern, ich bat sie inständig, das sein zu lassen, aber Zohra ... wenn sie sich etwas vorgenommen hatte –«
    »Bei uns funktioniert das anders«, entgegnete Michael, »bei uns kann man erst im Nachhinein wissen, ob ein Zusammenhang besteht oder nicht. Und Sie, als Historiker, müssten das doch eigentlich verstehen ... wie bei Ihnen, wenn Sie anfangen, in Do kumenten zu graben, wissen Sie auch nicht immer, was Sie finden werden, Sie können es gar nicht wissen, und manchmal taucht plötzlich etwas völlig Unerwartetes auf, von dem sich herausstellt, dass ausgerechnet das die Hauptsache ist.«
    »Ja«, seufzte Natanael Baschari, und seine Augen verweilten für einen Augenblick auf Michael, »das ist prinzipiell richtig, nur weiß ich nicht, ob ... Zohra fand heraus, dass Mama ein Kind ...«, er räusperte sich und verbesserte sich hastig, »dass meine Eltern ein Baby im Jemen verloren hatten, und nachher war da noch etwas ... aber ich will nicht ...« Er richtete sich auf seinem Sitz auf, sah sich um, schüttelte langsam seinen Kopf und sagte mit gebrochener Stimme: »Ich kann nicht. Ich kann einfach nicht.«
    »Man kann jetzt nicht wissen, was dazugehört und was nicht, und Sie wollen doch, dass der Mord an Ihrer kleinen Schwester aufgeklärt wird«, erinnerte ihn Michael.
    Natanael Baschari senkte den Kopf und sagte, ohne den Blick zu heben: »Es gibt Dinge in unserer Familiengeschichte, die ich nicht ...« Wieder straffte er sich und wandte den Kopf zum Fenster, während er fortfuhr: »Es gibt Menschen, so wie jene, die den Holocaust überlebt haben oder die zweite Generation davon, die schließen sich zu einer Vereinigung zusammen und treffen sich einmal oder was weiß ich wie oft in der Woche, erzählen von ihrer Kindheit und von ihren Eltern und durchleben alles von Neuem ... das Ganze ... und es gibt solche, die das nicht tun. Die ... die nicht auf den Katastrophen der Vergangenheit aufbauen möchten. Einfach nicht wollen oder

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