Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand
Wildledertasche angerührt hatte. Und die Blätter, die sie mit dem Goldstift hatte anmalen wollen, die konnten auch bis morgen warten, das Fest dauerte schließlich die ganze Woche.
Zur gleichen Zeit, kurz nach Anbruch des Abends, war ein wenig Ruhe in das Polizeigebäude am Migrasch Harussim eingekehrt, und aus dem Fenster im zweiten Stock war schon der Lichtschein zu sehen, den die hohe Laterne auf den Asphalt unten warf. Zu diesem Zeitpunkt trommelte Michael Ochajon auf den Tisch – das Verhör kam nicht voran, seiner Gesprächspartnerin war nichts zu entlocken. Orli Schoschans braune, hervorquellende Augen hingen die ganze Zeit über an ihm; wäre Michael gebeten worden, ihren Ausdruck zu beschreiben, hätte er zwischen bemühter Anhänglichkeit und bewundernder Verehrung geschwankt; in manchen Augenblicken hätte man denken können, sie machte sich über ihn lustig. Wie dem auch war, er wandte seinen Blick von ihr ab wegen der übertrieben demütigen Bescheidenheit, mit der sie sich bei ihm anbiederte, als sie unter an derem erwähnte, wie sie versucht hatte, ihn, noch am Anfang ihrer Karriere als Journalistin, für ein Persönlichkeitsporträt zu interviewen, und wie er sie damals an der Schwelle abgewiesen hatte. Er selbst erinnerte sich weder an ihren Versuch noch an seine Zurückweisung und schnitt schließlich ihren Redeschwall ab und stellte das Aufnahmegerät an. Zila hatte sich geweigert, ihn mit einer Journalistin allein zu lassen, »von der alle ganz genau wissen, was für eine Hyäne sie ist«. Sie saß an der Ecke des Schreibtischs, den gelben Block vor sich, die Hand bereit zum Notieren.
Auf seine Frage hin berichtete Orli Schoschan von ihrer, wie sie es nannte, »schicksalhaften« ersten Begegnung mit Zohra. Es war offensichtlich, dass sie nicht zum ersten Mal davon erzählte: Wie sie, als sie Zeitoffizierin im Ausbildungscamp zwölf war, an den Duschen vorbeigegangen war und diese tiefe, dunkle, anrührende Stimme gehört hatte, eine Stimme aus dem Bauch heraus, die sang, »Mein Geliebter ging in seinen Garten – zu den duftenden Beeten«, wie sie dort stehen geblieben war, verzaubert von dieser Stimme und dem Lied, das sie seit ihrer Kindheit nicht mehr gehört hatte, nach einem Augenblick in den Duschraum hineingegangen war und dort, zwischen den Soldatinnen, die von ihrer ersten Schießübung zurückgekommen waren, dieses Mädchen gesehen hatte, »die ihre schwarzen Haare mit einem Militärhandtuch abgetrocknet und ohne sich zu rühren und vollkommen unprätentiös gesungen hat, halb nass, und die ganzen Mädchen sind dagestanden und haben ihr zugehört, unter der Dusche oder auf diesen Bretterbänken, auf die man sich zum Anziehen stellt, und das war ein unvergessliches Bild«. Orli Scho schan warf einen spähenden Blick auf den gelben Block, von dem Zila gerade eine volle Seite umblätterte. »Ich habe sie sofort zu mir ins Büro gerufen und – wie soll ich sagen«, sie schaute um sich, als suchte sie nach Worten, die sie ganz ersichtlich gleich fin den würde, da sie sie sicher schon mehr als ein- oder zweimal gebraucht hatte, wenn sie diese Geschichte erzählte, »ich habe mich total in sie verliebt.«
Als Orli Schoschan aus dem Militär entlassen wurde, wusste sie, dass sie nicht zu ihren Eltern nach Jerusalem zurückkehren würde (»Sie, also meine Eltern, sind eine andere Generation, sie sind aus Marokko ins Land gekommen, Anfang der Fünfzigerjahre, und man hat sie direkt in einen Wohnblock in Kirjat-Menachem gesteckt«; und dort, »in dieser Unterkunft, fünf Kinder plus Eltern in zweieinhalb Zimmern«, hatte sie ihre Kindheit verbracht). »Ich bin eine Nachzüglerin wie Zohra, und wie Sie«, setzte sie schnell hinzu, und ihre auf Michael gehefteten Augen wurden größer und traten noch mehr hervor, »deswegen wollte ich so unbedingt über Sie schreiben, ich spürte ... ich hatte das Gefühl, dass es da vielleicht eine Seelenverwandtschaft gäbe, ich wollte ... ich wollte zeigen, wie auch da, unter den Einwandererkindern aus Nordafrika, Sterne aufgehen können –«
Zila räusperte sich leise, doch Michael bedurfte ihrer Warnung nicht. Angewidert von der falschen Schicksalsverschwisterung, die sie ihm überstülpen wollte, reagierte er mit keinem einzigen Wort darauf, sondern verfolgte stur seine Fragen, welcher Art ihre Beziehungen zu Zohra waren. Mit dem gleichen hingebungsvollen Ausdruck erzählte Orli Schoschan auch über ihren Weg als Journalistin – zuerst bei einer
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