Ochajon 06 - Und Feuer fiel vom Himmel
allein und verlassen auf der Welt, wie man so schön sagt. Aber lassen Sie nur, sie wird bei mir schlafen.«
»O nein, mein Herr«, widersprach Balilati, »bei allem Respekt – kommt nicht in Frage, nach dem, was ich verstanden habe, sind Sie nämlich auch …«
»Du hast es ihm erzählt?«, explodierte Natascha. »Was hast du ihm schon alles gesagt?«
»Nichts, ich schwör’s dir«, Schraiber legte eine Hand aufs Herz, »er hat nur gefragt, wo wir waren, und ich habe ihm gesagt … er hat von allein begriffen, dass wir bei Alcharizi waren und …«
»Machen Sie sich da mal keine Sorgen«, winkte Balilati ab, »niemand wird von mir irgendwas zu hören kriegen. Aber einfach bloß so zu ihm gehen, das geht nicht, ich weiß nicht, was euch dort erwartet, bei ihm zu Hause«, er deutete auf Schraiber, »könnte ja sein, dass sich bei ihm der Rest von dem Schaf befindet, von dem sie den Kopf hier gelassen haben, vielleicht sollten wir vorher vorbeifahren und nachschauen, damit ihr uns nicht noch mal aufweckt, und sie – vielleicht nimmst du sie zu uns mit? Bringst sie ins Büro?«, sagte er zu Michael. »Dass sie inzwischen schon mal eine Aussage macht.«
Schraiber schwieg und blickte Natascha an. »Können Sie sie mitnehmen?«, fragte er Michael plötzlich. »Ich – das geht schon in Ordnung«, fügte er rasch hinzu, »ich kann immer zu meiner Schwester gehen, sogar mitten in der Nacht, sie wohnt in Scha’arei Chesed, nicht weit weg von hier. Aber ich kann dorthin keine Mädchen mitbringen, nicht mal wenn … meine Schwester ist sehr religiös und hat eine Menge Kinder, sie würde nicht verstehen, dass …«
»Du wirst mich nicht irgendwo unterbringen«, widersprach Natascha zornig, »ich kann mich allein um mich kümmern und …«
»Sie kommen mit mir«, entschied Michael, »es ist ohnehin eine Zeugenaussage und Beweisaufnahme nötig, das kann auch jetzt geschehen.«
Natascha griff stumm nach ihrer Segeltuchtasche, klopfte Schraiber, der auf dem Weg hinaus war, auf den Arm, und stand dann wartend an der weißen Eisentür, bis Michael herauskam. Sie sperrte ab, legte den Schlüssel unter den leeren Blumentopf, der im Eingangsbereich stand, und folgte Michael gehorsam zu seinem Auto.
In weniger als zehn Minuten waren sie am Migrasch Harussim, im Polizeipräsidium. Er führte sie in sein Zimmer, legte die Aktenmappen, die sich auf seinem Stuhl stapelten, auf den Tisch und bedeutete ihr, sich zu setzen. »Kaffee?«, fragte er und sie nickte. »Zucker? Milch?«, fragte er.
»Völlig schwarz«, erwiderte Natascha, und fast hätte er, mit Blick auf ihre knochigen Hände und ihren mageren Körper, gemurmelt, dass sie sich Zucker durchaus erlauben könnte, bevor er zu dem Wasserkocher in das kleine Zimmer ging.
Als er mit zwei Kaffeebechern in der Hand zurückkehrte, sah er, dass sie die Arme auf den Tisch und ihren Kopf darauf gelegt hatte. In der Stille, die herrschte, nachdem er die Tür geschlossen hatte, lauschte er ihren regelmäßigen Atemzügen. Er war sicher, dass sie eingeschlafen war, und ganz leise ließ er sich ihr gegenüber nieder und verrührte behutsam den Zucker in seinem Kaffee. Auch jetzt, zum Beispiel, wäre eine Zigarette nötig (erwünscht, erstrebenswert und ersehnt) gewesen, sagte er sich im Stillen und blickte lustlos auf den Kaffeebecher. Seit er zu rauchen aufgehört hatte, schien es ihm, als habe der Kaffee an Geschmack verloren. Natascha hob den Kopf, mit weit offenen Augen. »Ich habe Sie aufgeweckt«, entschuldigte er sich.
»Aber woher«, wehrte sie ab, »ich habe überhaupt nicht geschlafen, nur einen Moment ausgeruht.« Plötzlich lächelte sie – ihre Lippen gaben die weißen Zähnchen eines kleinen Mädchens frei. »Das ist tatsächlich ein Ort, wo man ausruhen kann«, sagte sie staunend, »man fühlt sich sicher.«
Michael lachte.
»Was lachen Sie da? Was kann mir hier schon passieren?«
»Ich habe noch nie gehört, dass von meinem Zimmer gesagt wurde, man fühle sich sicher. Sicherheit ist nicht das, was ich bei mir im Büro habe sagen hören«, sann er laut, »man muss wirklich … nichts zu befürchten haben … kurz, sich nicht schuldig fühlen …«
»Warum sollte ich mich schuldig fühlen?«, wunderte sich Natascha. »Was? Hab ich was Unrechtes getan?«
Michael lächelte. »Seit wann steht das in Zusammenhang miteinander?«, fragte er. »Es genügt, dass Sie ein lebendiger Mensch sind, um sich schuldig zu fühlen.«
Sie umklammerte den Kaffee mit beiden Händen
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