Ochajon 06 - Und Feuer fiel vom Himmel
Augen gedankt hatte (»du weißt nicht, wie bewegend das ist, wenn ein Mann zu schenken versteht«), hatte sie etwas auf ihr Handgelenk gesprüht, die Lippenränder mit ihrer charakteristischen Skepsis zusammengepresst und gesagt, dass sie nicht vorhabe, ihr Estee Lauder ganz aufzugeben. Nun fügte Michael hinzu: »Du wirst auch aufhören, wenn du in mein Alter kommst.«
»Hochbetagt, vergiss nicht, das dazuzusagen, sein hochbetagtes Alter«, warf Balilati ein, der sich ihr wieder genähert hatte, nahm ihre Hand in seine und betrachtete den Diamanten. »Was ist das, hast du dich verlobt?«, fragte er. Beim Anblick ihrer Augen, die für eine Sekunde braungrün aufblitzten, unterdrückte er schleunigst sein Grinsen und schnalzte mitfühlend, als sie erwiderte, das sei der Verlobungsring ihrer Mutter, die vor einigen Monaten gestorben war.
Sie traten in das erste Zimmer, das auf Grund der niedrigen Decke klein und bedrückend wirkte. Der Mann von der Spurensicherung im Gang erklärte, sie seien hier zu dritt, und bisher sehe es so aus, als ob sich länger niemand in der Wohnung aufgehalten hätte, denn in der Küche befänden sich so gut wie keine Lebensmittel, und die Zimmer seien fast unmöbliert. Dort, auf dem schmalen Bett dicht an der Wand, lag die bekleidete Leiche eines Mannes – ein schwerer Mantel war über einen schlichten Holzstuhl an einem nackten Tisch geworfen. Die Enden eines grauen Wollschals, der zuvor wohl um seinen Hals geschlungen gewesen war, waren von dem Arzt zur Seite geschlagen worden, der über ihn gebeugt stand, sich beim Klang ihrer Schritte umdrehte und zu Schorr sagte: »Ich bin ziemlich sicher, dass er erwürgt wurde.« Er deutete auf den Schal. »Mit den Händen oder vielleicht nur mit dem Schal. Sehen Sie?«, wandte er sich an Michael, »sogar mit den Verbrennungen am Hals und dem Bart kann man es sehen – auf der Stirn, unter den Augen, am Hals, wo die Haut nicht … das ist das Gesicht eines Erwürgten mit dieser Farbe und den ganzen Flecken …«
Michael blickte auf den mageren Leichnam, der bereits erstarrte, und ließ seinen Blick dann über die nackten Wände wandern. Das Zimmer strömte Kälte und Schimmelgeruch aus. Schorr verschob mit dem Fuß ein Kabel, das von einem kleinen Elektroheizkörper herabhing, der nahe dem Bett stand. »Man hat ihn nicht einmal eingeschaltet?«, fragte er, worauf der Arzt verneinend den Kopf schüttelte. »Gerade wegen der Kälte hat er sich gut erhalten«, murmelte der Arzt, »allerdings ist das nicht vor Tagen passiert, das ist eine Sache von ein paar Stunden, vielleicht sechs oder acht, es gibt hier alle möglichen … erst nach der Untersuchung kann man …« Er krempelte den Ärmel des dünnen, blauen Pullovers hinauf, den der Ermordete trug, und zusammen damit auch das graue Flanellunterhemd darunter, und musterte konzentriert die Spuren auf dem Arm. Die Innenseite war voller blauroter Beulen. »Blutergüsse, das sieht aus, als habe er Spritzen erhalten. Sehen Sie«, sagte der Arzt zu Michael, der herangetreten war, sich neben das Bett kniete und den Arm betrachtete, »einerseits wirkt es nicht wie … na gut, aber er ist auch sehr mager, keine Frage – nach der Obduktion werden wir klüger sein, aber da gibt es noch etwas …«
»Er hätte hier verfaulen können«, sagte Nina, steckte ihre Hände in die hinteren Taschen der engen Jeans und kam mit kleinen, schnellen Schritten näher. »So gehst du zur Arbeit?«, fragte Balilati, der am Eingang an die Wand gelehnt stand, und deutete auf die schwarzen Lederstiefel mit den dünnen Absätzen. »Ich war schon auf dem Weg zu einem Date«, erwiderte sie provozierend, »als man mich hierher gerufen hat. Da siehst du mal, was Verantwortungsgefühl ist, was?«
Zu Michael gewandt fuhr sie fort: »Wer ihn erwürgt hat, hat darauf gebaut, dass die Wohnung leer ist und auch niemand kommen sollte. Er hätte hier gut und gern ein paar Tage vor sich hinfaulen können, das war die Idee dabei. Aber es gibt einen Gott – Tatsache ist, dass die Nachbarin ihn gefunden hat. Wenn sie nicht gewesen wäre …«
»Hier hat überhaupt keiner gewohnt. Die Wohnung ist völlig leer«, sagte Balilati, »ich hab in die Küche geschaut, dieser Kühlschrank hat mindestens hundert Jahre auf dem Buckel.«
»Hat er einen Namen?«, fragte Schorr. »Ist das unser Mann oder was?«
»Er ist es«, bestätigte Nina, »nicht nur von der Phantomzeichnung, sondern auch vom Pass her – er heißt Israel Chajun, ich zeig’s
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