Ochajon 06 - Und Feuer fiel vom Himmel
Ihnen gleich …« Sie eilte aus dem Zimmer und kehrte einen Augenblick darauf mit einem braunen, in Nylonfolie gewickelten Umschlag zurück. »Er hat zwei Pässe – einen israelischen und einen amerikanischen. Er ist mit dem amerikanischen eingereist, da ist der Stempel, vor zwei Tagen, sehen Sie hier.« Sie schlug den Pass auf und zeigte ihnen den Einreisestempel, und danach deutete sie auf einen Haufen in einer Ecke des Zimmers. »Das sind seine Sachen, der Koffer, wir haben es schon mal grob durchgesehen« – es war etwas Herzzerreißendes an diesem alten, braunen Lederkoffer, dachte Michael, von einer Sorte, wie er sie bereits seit Jahren nicht mehr gesehen hatte, nur einmal hatte er so einen auf dem Speicher sei nes Exschwiegervaters, mit einem Strick verschnürt, gefunden –, »zwei Hemden, ein Pullover, eine Hose, Unterhosen, Unterhemden, Socken – jeweils zweimal, eine Bibel, aus der Armee –, seht ihr, da steht das Datum, ein Gebetbuch, zwei alte Fotos, seht ihr, gerahmt, und dieses Buch, Gedichte, du verstehst was von Gedichten, nicht?«, fragte sie Michael und legte das dünne Bändchen in dem braunen, zerfledderten Einband, dessen vergilbte Seiten von einem dicken Gummi zusammengehalten wurden, in seine Hand, »schau, da gibt es eine Widmung. Gedichte in Hebräisch kenne ich keine, nur in Russisch«, murmelte sie, als er vorsichtig den Gummi abstreifte und die erste Seite betrachtete. Unter dem Titel, »Sterne draußen«, stand mit schwarzer Tinte geschrieben: »Unserem Srul – zur Vollendung deines 17. Lebensjahrs, von Tirza und Arie«.
Michael wollte etwas über Altermann und die ganze Generation sagen, die mit seinen Gedichten aufgewachsen war, so wie er selbst, und fast hätte er angefangen zu deklamieren: »Auch beim Anblick von Altem gibt es einen Augenblick von Geburt …« Ein Blick jedoch auf die wie versiegelt wirkende Erscheinung dieses einsamen, verlassenen Menschen – sogar »verlassen« klang noch zu herzlich und euphemistisch, zu sehr nach Altermann, angesichts der verwahrlosten Leere, die ihn umgab – führte dazu, dass er nur auf den Haufen deutete und fragte: »Habt ihr schon alles untersucht? Ist die Spurensicherung das schon durchgegangen? Kann man es anfassen?«
»Alles erledigt«, bestätigte Nina, »jetzt sind sie im Bad, schauen dort nach, ob … was willst du denn da sehen?«, fragte sie, als Michael neben dem Haufen in die Knie ging und zwei Fotos herauszog, die er unter den Hemden entdeckte. Er musterte sie lange und reichte dann eines an Schorr weiter, als dieser sagte: »Zeig es mir auch mal einen Moment.«
»Gut«, kommentierte Schorr, als er die vergilbte, fleckige Fotografie betrachtete, auf der die Clique zu sehen war, die sie bereits von der Aufnahme in Benni Mejuchas’ Haus sowie von der Korktafel in Arie Rubins Zimmer im Fernsehsender kannten, »keine Frage. Das ist unser Mann.«
»Genügen denn nicht schon der Name im Pass und die Verbrennungen an den Händen und im Gesicht?«, fragte Nina. »Vom ersten Moment an, als ich ihn gesehen habe, wusste ich’s, ich war sicher, auch wenn er nicht ganz genau wie auf der Phantomzeichnung aussieht. Wie viele gibt’s denn schon, auf die so eine Beschreibung passt?«
»Einer in der Stadt – zwei im Staat«, entgegnete Balilati, der inzwischen in der Mitte des kleinen Zimmers stand und konzentriert die Leiche studierte. »Erklär mir mal, was es mit dieser Wohnung auf sich hat, hier ist gar nichts – ein Wohnzimmer mit Sofa und Petroleumofen, die paar Möbel hier und die Küche so gut wie leer, was ist das hier? Wer hat ihn gefunden? Die Nachbarin? Wo ist sie, die Nachbarin?«
Nina begann zu erklären, dass die Wohnung wegen eines Familienstreits auf Grund einer Scheidung leer stand. »Sie kommen zu keiner Einigung, die Besitzer, seine Schwester«, sie wies mit dem Kopf auf den Toten, »und ihr Mann. Ich kenn das sehr gut, ich hab selber … man kann sich nicht einigen, und die Wohnung bleibt so, blockiert, man kann sie weder vermieten noch verkaufen, und die Nachbarin hat mir gesagt, dass sie, seine Schwester, noch bis vor zwei Monaten hier gewohnt hat und nicht ausziehen wollte, weil sie Angst hatte, dass sich sonst ihr Mann alles unter den Nagel reißt, also war es so, dass sie beide hier wohnten. Redeten nicht miteinander, aber wohnten zusammen. Er im Wohnzimmer auf dem Sofa und sie hier, in dem Zimmer, ohne ein Wort, ohne … haben sich gegenseitig fertig gemacht, aber nicht nachgegeben. Am Schluss, so hat
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