Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ochajon 06 - Und Feuer fiel vom Himmel

Ochajon 06 - Und Feuer fiel vom Himmel

Titel: Ochajon 06 - Und Feuer fiel vom Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
Vom Netzwerk:
schließlich in gleichmütigem Ton, »Sie werden das nicht verstehen. Sie können solche Dinge nicht verstehen, das ist nicht Ihre Welt, Sie sind aus einer anderen Ecke.«
    »Why don’t you try me?«, provozierte sie ihn.
    An der großen Ampel, vor der Brücke der Golombstraße, erzählte er ihr von seinem Vater und dem Schlaganfall, den er erlitt, als sie die Bäckerei, in der er arbeitete, nach einunddreißig Jahren schlossen, und von den Jahren, in denen er weder sprechen noch gehen konnte. Über die Ähnlichkeit zwischen ihm und Schimschi verlor er kein Wort. Er spähte in ihr Gesicht und sah, dass sie begriff.
    »Aber Ihr Vater hat niemanden entführt und nicht gedroht, Menschen in die Luft zu sprengen«, rief sie ihm in Erinnerung.
    »Ich habe Ihnen gesagt, dass Sie es nicht verstehen werden«, erwiderte er bitter – nun waren sie in einem neuen Stau, auf der Herzogstraße, vor der Abzweigung in die Tschernichovskystraße –, »ich hätte Ihnen nicht … Sie wissen doch ganz genau«, brach es in plötzlicher Erregung aus ihm heraus, »dass die Benachteiligten in Wirklichkeit nie etwas erreichen ohne Gewalt … welche Revolution hat denn Ergebnisse gebracht ohne …?«
    »Dani Benisri«, sagte sie in müdem Ton und wischte sich die Stirn, »tun Sie mir den Gefallen und geben Sie mir jetzt keinen Geschichtsunterricht, und biegen Sie bitte hier ab, in den …«, sie deutete mit dem Arm in Richtung des Parkplatzes vor einigen zweigeschossigen Häusern am Ende der Hapalmachstraße, »hier, das zweite Haus …«
    Dani Benisri parkte den Wagen. »Warten Sie«, sagte er, nachdem er den Motor abgestellt und hinausgeblickt hatte, »passen Sie auf die Pfützen auf und geben Sie mir die Tasche.« Er ignorierte ihre Proteste und folgte ihr bis zur Tür, wartete, während sie den Schlüssel aus ihrer Tasche nahm und langsam die Tür aufsperrte. Er trat hinter ihr in das Wohnzimmer und sie zog die Vorhänge auf. Sein Mobiltelefon läutete, und in diesem Moment klingelte auch das Telefon in der Wohnung. Er warf einen Blick auf sein Display, sah aus dem Augenwinkel, wie sie langsam den Hörer abhob, und hörte sie sagen, »ja, ich bin ganz allein«, während sie ihn dabei anschaute, und schaltete sein Mobiltelefon aus. »Das ist meine Parlamentssekretärin«, formte sie mit den Lippen zu ihm hin. Er stand hinter ihr, sehr nah, als sie erklärte, dass sie sich ausruhen müsse, dass niemand wisse, dass sie nach Hause zurückgekehrt sei, und dass man sie bitte nicht anrufen solle. Sie legte den Hörer neben das Telefon, drehte sich um in dem Glauben, er befände sich ein gutes Stück weit weg, an der Tür, und er sah, wie sie erschrak, als sie ihn so dicht bei sich fand. Als er seine Arme um sie legte, gewahrte er eine tiefe Falte neben ihrer linken Augenbraue, und für einen Moment streifte ihn der Gedanke, dass sie mindestens zehn Jahre älter war als er und dass es das erste Mal in seinem Leben war, dass er eine Frau berührte, die älter war als er, doch etwas an ihrem dünnen Rücken verwischte diesen Gedanken, und auch der Geschmack ihrer vollen, trockenen Lippen.
    Panik durchzuckte sie ebenso wie Empörung über die Freiheit, die sich Benisri, dieser Journalist, herausnahm, auch ein dumpf alarmierendes Gefühl von Furcht und Gefahr. Stärker jedoch als das alles war die warme Woge, die von ihm und von ihr ausging – eine Welle, getragen von der Kraft ihrer großen Einsamkeit und langen Qual, die plötzlich, exakt in diesem Augenblick, zu Ende ging, erschöpft war. Dieser Journalist, der so offen aussprach, was er dachte und brauchte, ausgerechnet er hatte ihr etwas gesagt, das sie seit Jahren nicht gehört und durch das sie begriffen hatte, dass gerade er, so unlogisch und unerwartet das sein mochte – ihr Freund war.
    Als sie erwachten, war es bereits zwei Stunden zu spät für seinen Gesprächstermin am Migrasch Harussim. (»Ich bitte nur darum, dass Sie kommen«, hatte Michael Ochajon zu ihm gesagt, »das ist kein offizielles Verhör.«) Auf seinem Mobiltelefon befanden sich fünf Nachrichten, drei von Tikva, die ihn mit verzweifelter Stimme gesucht hatte und bei der dritten Nachricht genauer erklärte, dass sie nicht wusste, was sie mit der Kleinen machen sollte, die seit heute früh nicht zu weinen aufgehört hatte, und er hatte im Geiste Tikvas mageres, verlorenes Gesicht vor Augen, wie sie hilflos die Kleine im Kinderwagen herumschob. In dieser Kälte hatte sie sie nach draußen mitnehmen müssen, im

Weitere Kostenlose Bücher