October Daye - McGuire, S: October Daye
saß mit einer roten Schleife um den Hals neben dem Regal auf dem Boden. Über dem Regal hing ein herzförmiges Schild und verkündete in großen Cartoonbuchstaben, dass es sich um »Aprils Zimmer« handelte. Mit einem Bett und einem Kleiderschrank hätte es ausgesehen wie das Klischee-Zimmer eines ganz normalen, etwas verwöhnten kleinen Mädchens. Verdammt. Warum konnten Übeltäter denn nie wie richtige Übeltäter daherkommen?
Niemand befand sich im Raum. Ich brauchte drei Schritte, um die Maschine zu erreichen, und fühlte mich mit jeder Sekunde mehr wie ein Eindringling. Ich konzentrierte mich auf die kleinen Details. Das Bild von Jan und April auf dem Bücherregal, die geometrische Präzision, mit der die Häschen übereinandergestapelt ware n … die um den Sockel des Servers gewickelte Babydecke. Hier hatte sich jemand mächtig ins Zeug gelegt, um diesem luftigen Nichts von Geschöpf einen privaten Lebensraum und einen Namen zu geben. Wie innig hatte Jan ihre Tochter gelieb t …
»Du bist hier.« Ich hatte nicht gehört, wie April sich materialisierte, aber ich war zu müde, um auch nur zusammenzuzucken, als sie hinter mir sprach. Erschöpfung macht einen deutlich weniger schreckhaft.
»Hallo, April.« Langsam, um nicht erkennen zu lassen, wie wackelig ich auf den Beinen war, drehte ich mich um. »Wie geht es dir?«
»Warum bist du hier?«, fragte sie zurück. Sie sah genervt aus, knurrig wie eine gewöhnliche Halbwüchsige, die in ihren privaten Gefilden einen uneingeladenen Erwachsenen antrifft.
»Ich dachte, ich sehe mal nach, wie es dir geht.«
Sie machte die Augen schmal. »Mir geht es gut. Warum bist du hier?«
»Ich habe ein paar Fragen, von denen ich glaube, du kannst sie beantworten«, sagte ich und lehnte mich neben dem Regal mit den Plüschhäschen an die Wand. »Zumindest hoffe ich das.« Ich streckte die Hand aus, um das Ohr eines abgewetzten Baumwollhäschens glatt zu streichen.
»Nicht anfassen!« April verschwand, tauchte mit statischem Knistern dicht neben mir wieder auf und riss das Plüschtier aus meiner Reichweite. Über seinen Kopf hinweg starrte sie mich wütend an. »Das gehört mir . Meine Mutter hat es mir geschenkt.«
»Tut mir leid.« Ich hob die Hände mit den Handflächen nach außen. »Ich wollte dich nicht aufregen.«
»Meine Mutter kauft mir immer Kaninchen.« Sie streichelte über den Kopf des Plüschtiers und blickte darauf hinab. »Jedes Mal, wenn sie irgendwohin fährt, wo ich ihr nicht folgen kann, bringt sie mir ein Kaninchen mit. Ich mag Kaninchen.«
»Ist nicht zu übersehen.«
»Diesmal wird sie mir viele Kaninchen mitbringen, weil sie mir nicht gesagt hat, dass sie weggeht.«
»Apri l … « Ich war nicht sicher, was ich sagen sollte. Es bestand die handfeste Möglichkeit, dass sie Leute umgebracht hatte. War es auch dann ein Verbrechen, wenn sie gar nicht verstand, was sie getan hatte? »April, dir ist doch klar, dass sie diesmal nicht zurückkommen wird, oder?«
»Natürlich kommt sie zurück.« Sie schaute auf, die Augen groß und arglos. »Wir müssen nur eine Möglichkeit finden, sie wieder online zu bringen.«
»Schätzchen, Personen funktionieren nicht so.« Ich kämpfte gegen den Drang an, sie so zu trösten, wie ich Dare oder Quentin getröstet hätte, und schüttelte den Kopf. »Sie ist weg.«
»Ich funktioniere so, und sie ist meine Mutter. Sie kommt zu mir zurück.«
»Ich fürchte, du verstehst das nicht.«
»Nein, du verstehst es nicht. Diesmal wird es funktionieren.«
Das war das Stichwort, auf das ich gehofft hatte. »Du hast all die Leute getötet, oder?«, fragte ich in gemessenem, ruhigem Ton.
»Das wollte ich nicht!«, protestierte April und sah gänzlich wie ein verletztes Kind aus. »Ich wollte niemandem ein Leid antun. So sollte es nicht laufen.«
»Aber du hast ihnen ein Leid getan. Du hast sie vom Netzwerk abgetrennt.« Ich schob mich möglichst unauffällig in Richtung des Servers. Sollte sie plötzlich zum Angriff übergehen, würde ich herausbekommen, wie schnell ich die Netzstecker aus der Rückseite der Maschine reißen konnte. »Wir sind ja nie dazu gekommen, die Stellen abzusuchen, wo die Leichen gefunden wurden, aber das hätte auch gar keine Rolle gespielt, nicht wahr? Was hast du getan?«
»Ich wusste nicht, dass das passieren würde.«
»Das ist egal, Schätzchen. Sie sind trotzdem tot. Wie sind sie gestorben?«
»Es sollte alles gut sein! Niemand sollte verletzt werden.« Sie drückte sich das Kaninchen an
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