October Daye: Nachtmahr (German Edition)
Connor hinüber und tastete nach seinem Puls. Er schlug kräftig und gleichmäßig.
»Ich habe dir etwas Zeit verschafft«, erwiderte sie. »Du hast nämlich weniger, als du denkst. Die Teeblätter lügen nicht.«
»Wovon zur Hölle redest du da?«, blaffte ich.
»Du lässt mich dir helfen. Deine Bande sind die meinen.« Sie hob eine Hand. »Bei Meer, Woge und Ufer, bei der Gunst Maeves, der Mutter aller Wasser, rufe ich euch zu mir. Erhört meinen Wunsch und gewährt mir, was ich in diesem Augenblick benötige.« Ihre jadegrünen Augen wirkten dunkler als sonst und tieftraurig.
»Lily?« Ich erhob mich und wich einen Schritt zurück. »Was tust du da?«
Sie schüttelte den Kopf und glitt auf mich zu. »Bei Sturm, Frost und Hagel, im Namen Maeves, der Mutter aller Sümpfe, rufe ich euch zu mir. Dieser Weg ist der unsere, da wir ihre Kinder sind, und er soll sich auftun, wenn es keinen anderen gibt.«
Es wurde zunehmend schwerer, die Augen offen zu halten. Ich hatte den Tee nicht getrunken, aber ich hatte ihn geschmeckt, und das genügte, damit sie mich unterkriegte. Ich sank auf die Knie und flüsterte: »Lily, warum?«
»Nur zu deinem Besten«, sagte sie und streckte eine Hand aus, um mir die Augenlider zuzudrücken. Ich versuchte mich wegzudrehen, aber ich konnte mich nicht bewegen. Kein bisschen.
Und dann war da nichts mehr.
Kapitel 23
K aren saß auf meiner Brust, und aus irgendeinem Grund wog sie absolut nichts. »Tante Birdie? Bist du wach?«
»Karen.« Ich lächelte. Die Landschaft war verwischt wie ein halb fertiges Aquarell. »Du bist wach.«
»Nein, das bin ich nicht, und du auch nicht. Du musst zurückkommen, es ist wichtig. Es tut mir leid, aber es ist furchtbar wichtig, dass du aufwachst.«
»Was ist denn los?«
»Es ist Zeit, die Sache zu Ende zu bringen. Du musst zurückkommen. Du musst unbedingt – «
Ihr Gesicht verschwamm und löste sich auf, als jemand auf mich einbrüllte. »Wach auf, Toby! Verdammt, Mädchen, werd wach!« Diese Stimme war viel lauter und durchdringender. Jemand schüttelte mich unsanft.
Ich schlug die Augen auf.
Die Luidaeg hielt mich an den Schultern gepackt. Sie trug wieder ihr gewohntes »menschliches« Äußeres mit Sommersprossen und Latzhose und zerzausten schwarzen Locken. Sogar ihre Augen waren menschlich, braun und gewöhnlich. Nichts daran war untypisch für sie. Neu war nur die Angst in ihrem Blick.
»Luidaeg?«, fragte ich mühsam. Mein Kopf fühlte sich an wie in Baumwolle gewickelt. Was immer Lily mir da verabreicht hatte, war mächtig stark gewesen.
»Ja«, sagte sie und ließ meine Schultern los. »Du bist bei mir.«
»Was?« Ich kämpfte mich in Sitzposition und blinzelte heftig. Ich lag auf der Couch der Luidaeg, gegenüber dem einzigen, schmutzstreifigen Fenster. Die Vorhänge waren geöffnet, das waren sie noch nie gewesen. Gewöhnlich beleuchteten flackernde Glühbirnen sowie ein undefinierbares Glimmen das Zimmer, sodass in allen Winkeln tiefe Schatten brüteten und in seltsamem Eigenleben pulsierten. Jetzt hatte wässriges Sonnenlicht sie vertrieben, wodurch die Schweinerei auf dem Fußboden viel deutlicher zu erkennen war. Die Wände waren schwarz vor Dreck, und über die Couch zogen sich Landschaften aus vielfarbigem Schimmel.
Eine leuchtend bunte, sauber duftende Flickendecke war über meine Knie gebreitet. Sie passte so gar nicht zu allem anderen, dass es förmlich quietschte.
»Wie bin ich hierhergekommen?«, fragte ich und sah wieder die Luidaeg an.
»Lily hat dich auf dem Gezeitenpfad hergeschickt.« Sie schüttelte den Kopf, und ihre Miene ließ einen Hauch ihres üblichen selbstgefälligen Grinsens erahnen. »Anscheinend passte es ihr nicht, wie du immer mit deinem Holing herumziehst. Sie fand das wohl keinen guten Plan.«
»Lily!« Ich warf die Flickendecke ab und versuchte aufzustehen. »Sie hat uns Drogen verpasst!«
»Stimmt«, bekräftigte die Luidaeg. »Voll auf die Zwölf. Und dann noch Mutters Namen angerufen, mit allem, was dazugehört. Hast du eine Ahnung, wie lange ich diese Beschwörung nicht mehr gehört habe? Das ist praktisch die Undinen-Entsprechung davon, dass man das gute Porzellan rausholt.«
»Aber – «
»Sie wollte dich von deinem Holing weghaben, und offen gesagt glaube ich, dass sie gut daran getan hat.«
Ich starrte sie an. »Aber sie hat uns betäubt .«
»Das ist nichts Neues, Dummchen. Willst du nicht fragen, warum sie euch betäubt hat?«
»Also gut«, ich kniff die Augen zusammen.
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