October Daye: Nachtmahr (German Edition)
zugezogen und schützten das Innere vor Blicken.
»Luidaeg, das ist ja – «
»Ja, ich weiß. Ich kann nun mal nicht überall den Schein wahren, man muss schließlich auch irgendwo schlafen.« Sie deutete auf das Bett. »Sie ist da drin.«
Ich trat an das Bett heran und öffnete den Vorhang. Karen lag reglos da, bis zum Bauch zugedeckt. Das tiefe Weinrot der Kissen und Decken wirkte im Kontrast zu ihrer Haut fast wie Blut. Sie sah aus wie die schlafende Schönheit aus einem Feenmärchen, schmal und bleich und unendlich verloren. Ich sank in die Knie, berührte vorsichtig ihr Gesicht und zuckte zurück. Sie fühlte sich so heiß an, als habe sie Fieber, dabei waren ihre Wangen blutleer und totenblass. Sie verbrannte ohne Flamme, und ihre Augen bewegten sich hinter den geschlossenen Lidern. Träume. Sie schlief schon seit Tagen, und noch immer träumte sie.
»Warum wacht sie nicht auf?«
»Teufel, ich weiß es nicht.« Die Luidaeg setzte sich auf die Bettkante und stupste gegen Karens Arm. Keine Reaktion. Sie stupste heftiger. »Sie ist völlig hinüber.«
»Das weiß ich selber. Kannst du mir nicht sagen, wieso?«
»Noch nicht«, sagte sie, beugte sich vor und hob Karens rechtes Augenlid an. Dann spähte sie konzentriert hinein, schien nach etwas zu suchen. Schließlich richtete sie sich wieder auf und ließ los. Karens Auge schloss sich wieder, ansonsten rührte sie sich nicht. »Hm. Was sagt man dazu.«
»Was ist los mit ihr?« Ich ballte die Hände zu Fäusten. Das Gefühl der Hilflosigkeit hasse ich beinahe so sehr wie Bluten.
»Könnte alles Mögliche sein«, sagte sie. »Ein Bannfluch, eine Verhexung, Blutwürmer, Lebensmittelvergiftung – hast du dein Messer dabei?«
»Was?«
»Na, dein Messer. Das du immer mit dir herumträgst. Hast du es dabei?«
»Schon, aber – «
»Gut.« Sie streckte die Hand aus. »Gib es mir.«
»Warum?« Die Luidaeg stand immerhin im Ruf, gern Blut fließen zu lassen, wenn sie bewaffnet war. Und in letzter Zeit war das des Öfteren meins gewesen. Ich glaubte zwar nicht, dass ich sie von irgendwas abhalten konnte, indem ich mich weigerte, ihr mein Messer auszuhändigen, aber ich musste wenigstens nachfragen.
Sie hob den Kopf. »Willst du nun wissen, was mit ihr ist?«
»Ja!«
»Dann gib mir das Messer. Ich hab jetzt wirklich nicht die Geduld, deine kleinen Spielchen mitzumachen. Das Ganze hier geht mir nämlich gewaltig gegen den Strich.«
Wortlos zog ich das Messer aus meinem Gürtel und gab es ihr. Es klingt vielleicht verrückt, aber ich vertraue der Luidaeg. Ich mag zwar manchmal ihre Methoden nicht gutheißen, aber ich vertraue ihr völlig.
Sie hob Karens Arm und hielt dann inne. »Ich bin keine Kindsmörderin. Das weißt du doch, oder?«
»Ja, ich weiß«, sagte ich. »Wenn ich dächte, dass du ihr was tun willst … «
»Würdest du dich mit mir anlegen und verlieren. Das weißt du, das weiß ich, und dennoch würdest du es tun. Dein komisches Ehrgefühl macht mich manchmal ganz kirre.« Sie grinste. »Alle Wechselbälger spinnen.«
»Ja, das tun wir. Was hast du vor?«
»Ich tu ihr nicht weh, ich brauch nur ein bisschen Blut.« Sie zog die Klinge leicht über Karens Daumen. Blut perlte heraus, und sein Geruch verbreitete sich in der Luft, bis er das Salzwasser überlagerte. »Also los.« Die Luidaeg senkte den Kopf und drückte den Schnitt an ihre Lippen. Es sah aus wie eine bizarre Parodie auf »Küsschen drauf und heile, heile, Segen«. Sie blieb reglos in dieser Position und schluckte. Karen rührte sich nicht.
Nach ein paar Minuten hob die Luidaeg den Kopf und leckte sich die Lippen. »So, so, so. Ich verstehe«, sagte sie, ließ Karens Hand los und stand auf. Ihre Augen waren weiß geworden. »Ich fasse es nicht.«
»Was denn?«, fragte ich und erhob mich ebenfalls. »Was ist mit ihr los?«
»Ich hätte dich doch töten sollen, als ich die Möglichkeit dazu hatte«, bemerkte sie und leckte sich wieder die Lippen. Beim Sprechen zeigten sich ihre nadelspitzen Reißzähne. »Ich hätte dir das Herz aus dem Leib reißen und es als Spielzeug aufheben können. Das wäre doch ein schöner Tod gewesen.«
»Bestimmt«, sagte ich schaudernd. Die Luidaeg schien mich zwar gern zu haben, aber was hieß das schon? »Lass uns das auf später verschieben.«
Sie zuckte die Achseln und leckte sich ein drittes Mal die Lippen. »Wie du meinst. Sie ist eine Traumprophetin.«
»Eine was?«
»Eine Traumprophetin, ein Oneiromancer. Sie sieht in ihren Träumen die
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