October Daye: Nachtmahr (German Edition)
mich unschuldig an. Ich wollte gerade losbrüllen, da fiel mir auf, dass der Schmerz weg war. Also begnügte ich mich mit einem Flunsch. »Das hat wehgetan .«
»So ist das oft.« Sie erhob sich, ließ das Moos auf meinem Bein liegen und ging zum Pavillon zurück. »Kommt jetzt, ihr alle. Ich bin sicher, ihr habt Orte, an die ihr gehen, und Tode, denen ihr ins Auge sehen müsst.«
Ich stand auf, folgte ihr zum Pavillon und ließ ihren behelfsmäßigen Breiumschlag liegen, wo er hinfiel. Als ich die Stufen hochkam, gab es einen Lichtblitz, und der Duft von Hibiskus erfüllte die Luft. Ich schwankte und griff nach der Wand, um mich abzustützen. Da merkte ich, dass ich sauber und trocken war und ein violettes, mit dunkelroten stilisierten Rosen besticktes Gewand trug. Mein Haar war zu einem weichen Zopf geflochten.
Und mein Körper hatte sein korrektes Alter wieder.
»Was zum – « Ich sah auf. Wenigstens war ich nicht die Einzige, die verwirrt war. May und Connor starrten mich offenen Mundes an.
Lily neigte leicht den Kopf und sah zufrieden aus. »Wie ich dachte. Dies steht dir viel besser zu Gesicht, vor allem in Anbetracht der Umstände.« Sie kniete sich hin und goss Tee in einen Satz schwarz-weiß gemusterter Schalen. »Schau jetzt nach dem Mädchen. Ich kenne dich zu gut, um zu glauben, dass du zuhörst, ehe du dich vergewissert hast, dass sie am Leben ist.«
»Karen!« Aufgescheucht eilte ich hinüber, kniete mich neben sie und legte mein Ohr an ihre Brust. Ich hielt den Atem an und holte erst wieder Luft, als ich den stetigen, gedämpften Schlag ihres Herzens vernahm. Sie hatte einen Puls. Sie lebte. »Sie lebt.« Ich setzte mich auf, wandte mich den anderen zu und strahlte. »Sie lebt noch.«
»Ich habe es dir doch gesagt«, bemerkte Lily strafend. »Sie ist am Leben und in einem Stück, und es gibt nichts, was ich für sie tun kann. Nun kommt, ihr drei, und trinkt euren Tee.«
»Lily – «
»Kommt jetzt. Setzt euch. Streitet nicht mit mir.«
Was sollten wir tun? Wir setzten uns brav. Ich kniete mich Lily gegenüber mit May zu meiner Linken und Connor zu meiner Rechten. Er drückte unter dem Tisch sanft mein Knie, und ich lächelte ihn an. Lily betrachtete uns wortlos und reichte die Teeschalen herum.
May nahm ihre als Erste in Empfang. Sie hob sie an den Mund, nippte und lächelte erfreut. »Ah, Minze.«
Connor griff nach seiner Schale, probierte und blinzelte erstaunt. »Das ist keine Minze. Ich schmecke Hagebutte und Brunnenkresse.«
»Was immer du sagst«, meinte Lily und nippte gelassen an ihrer eigenen Schale.
Na klar. Ich hob meine Schale und schlürfte vorsichtig. Die Flüssigkeit berührte kaum meine Zunge, da würgte ich heftig und schleuderte die Schale von mir. Sie zerschellte auf dem Fußboden des Pavillons, als ich mich abwandte und ausspie, was ich noch im Mund hatte. »Blut!?« Wütend starrte ich Lily an. »Du servierst mir Blut!«
»Nein, das war nicht ich. Du hast es dir selbst serviert, so wie May sich Minze kredenzt hat und Connor sich Hagebutte. Den Unterschied macht ihr selbst. Ganz wie im richtigen Leben, wenn du mich fragst. Und nun hast du noch eine von meinen Teeschalen zerbrochen.« Sie seufzte. »Wirklich, October, was soll ich nur mit dir anstellen?«
»Gibt es einen bestimmten Grund dafür, dass ihr Leute immer so verflucht kryptisches Zeug schwätzen müsst?« Erbost stand ich auf. Der Geschmack von Blut macht mich schon an guten Tagen fuchtig. Zwar hatte ich es geschafft, einen Großteil davon wieder auszuspucken, aber ich empfing immer noch flackernde Schnipsel aus Lilys Leben, die im Hintergrund durch mein Bewusstsein tanzten wie Schattenspiele auf einer fernen Wand. Ich wollte nichts davon wissen. »Vergiss es. Karen und ich müssen jetzt los.«
»So, müsst ihr das? Sie ist ein bisschen zu groß, als dass du sie allein wegschaffen könntest.«
»Connor hilft mir.« Ich sah mich nach ihm um. Er rührte sich nicht, sondern saß nur da und betrachtete uns mit leicht benebeltem Gesichtsausdruck. »Das tust du doch, oder?«
»Oh, ja … klar«, sagte er. Es klang benommen. Dann fiel er um.
»Was zum – « May versuchte aufzustehen, aber da wurden ihre Augen glasig, und sie brach mitten in der Bewegung zusammen.
Spike fauchte und versteckte sich hinter mir, kauerte sich dicht an meine Fersen.
Lily setzte ihre Teeschale ab. »Ich kenne dich zu gut«, sagte sie. »Ich wusste, du würdest deinen Tee nicht trinken.«
»Was hast du getan?« Ich beugte mich zu
Weitere Kostenlose Bücher