October Daye: Nachtmahr (German Edition)
lassen? Vielleicht.
»Wach auf, verdammt!« Ich presste eine Hand auf seine Nase und meine Lippen auf seine und versuchte Luft in seine Lungen zu zwingen. Ich hatte keine Ahnung, ob es etwas brachte oder nicht, also machte ich blindlings weiter, blies Luft hinein und zwang sie wieder heraus, indem ich mit beiden Fäusten auf seine Brust hieb. »Wach auf!«
Es funktionierte nicht. Ich brach über ihm zusammen, vergrub mein Gesicht an seiner Schulter und schluchzte. So sollte es nicht enden. Ich wusste nicht, was ich erwartet hatte, aber so sollte es gewiss nicht enden. Tybalt sollte keinen banalen, sinnlosen Tod sterben, den er leicht hätte vermeiden können – alles nur meinetwegen. Raj würde verfrüht sein Erbe antreten müssen, und es war alles meine Schuld.
Ein paar Dutzend Pixies kamen von den Bäumen hoch über uns heruntergeschwebt, landeten im Gras, falteten ihre sirrenden Flügel zusammen und tätschelten mich tröstend. Ich ignorierte sie und schmiegte mich enger an Tybalt.
»Das ist so unfair«, murmelte ich.
»Ach, ich weiß nicht«, krächzte er schwach. »Mir kommt es wie ein fairer Handel vor. Ich riskiere Leib und Leben, um dich herzuschaffen, und du schlägst dafür auf mich ein und beweinst mich ausgiebig.«
»Tybalt!« Ich rappelte mich halb auf und starrte ihm ins Gesicht. Er betrachtete mich lächelnd, zwar totenbleich, aber er atmete. »Aber du – du warst – «
»Es gibt viele Geschichten über uns Katzen, nicht wahr?«
»Was?«
»Man sagt, wir haben sieben Leben.« Er setzte sich auf und gab mir Zeit, mich zurückzuziehen. Ich rückte ein winziges Stück ab, aber nicht weit. So schnell mochte ich ihn nicht wieder loslassen. »Da ist durchaus etwas Wahres dran.«
»Wie das?«, fragte ich beherrscht. In mir schrie und heulte etwas und verlangte Antwort. Äußerlich blieb ich ruhig. Ich konnte warten. Er lebte. Das genügte mir.
»Wir Könige und Königinnen der Katzen sind schwer zu töten. Wenn etwas, das unsere Untertanen umbringen würde – oder auch uns, ehe wir gekrönt sind – , wenn so etwas uns erwischt, dann fallen wir, doch wir kehren zurück.« Er hob die Hand und spielte müßig mit einer meiner Haarsträhnen. Ich entzog sie ihm nicht. »Allerdings nicht unbegrenzt oft. Nicht genau siebenmal. Näheres darf ich dir nicht sagen. Es würde mehr kosten, als mein Leben wert ist.«
»Aber – «
»Schsch. Ganz ruhig. Ich bin ja wohlauf, du hast mich nicht umgebracht. Obwohl es Juliet gefallen würde, wenn du das hättest, denn das gäbe ihr eine Rechtfertigung, dich zu töten.« Sein Lächeln ließ nicht nach. »Du hast wirklich eine ausgesprochene Gabe, Leute gegen dich aufzubringen, weißt du das? Du machst das gar nicht absichtlich, und doch gelingt es dir immer wieder.«
»Tybalt, ich – es – «
»Keine Entschuldigungen, das ist nicht unser Stil.« Er ließ mein Haar los. »Geh jetzt. Wir sind hier in dem Park, der Schattenhügel umgibt. Du kannst jetzt tun, was getan werden muss.«
»Was ist mit dir?«
»Ich bin wohlauf. Etwas gebeutelt, aber wohlauf. Nun geh.«
Unsicher erhob ich mich. Er seufzte und ließ die Lider sinken. »Tybalt?«
»Ja?« Eine Spur Gereiztheit schlich sich in seinen Ton, und sein rechtes Auge schloss sich vollends, während das linke halb offen blieb und mich anlinste.
»Was meintest du vorhin? Als du sagtest, dass nicht ich dich belogen habe?«
»Ah.« Es war halb Ausruf, halb Seufzer. Dann schloss er auch das linke Auge, und ein Schmunzeln kräuselte seine Lippen. »Du hast mir ein paar Unwahrheiten aufgetischt, kleiner Fisch, und es war unabdingbar, dass ich die Gründe dafür erfahre. Nun weiß ich, dass du es nicht besser wusstest, und wir können weitermachen.«
»Was für – «
»Wenn ich dir das sage, nennst du mich einen Lügner, Toby. Nein. Ich lege es wirklich nicht darauf an, in Rätseln zu sprechen, aber in diesem Falle – nein. Wenn du diese Antworten wirklich herausfinden willst, musst du selbst dahinterkommen. Ich hoffe, du schaffst es. Jetzt geh.« Er gähnte. »Ich bin müde. Von den Toten zurückzukehren kostet Kraft.«
Ich starrte ihn an. Erst rettete er mir das Leben, dann opferte er beinahe sein eigenes für mich, und nun speiste er mich mit vagen Andeutungen ab und hieß mich gehen? Na schön. Ich bückte mich, um meine noch immer brennende Kerze aufzuheben, und vermied es, ihn anzusehen. »Ich nehme an, wir sehen uns dann später.«
»Ich hoffe es«, sagte er schlicht.
Verwirrter denn je marschierte
Weitere Kostenlose Bücher