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October Daye: Nachtmahr (German Edition)

October Daye: Nachtmahr (German Edition)

Titel: October Daye: Nachtmahr (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Seanan McGuire
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großen Kleides und stolperte schließlich in den Wald, wo sie verschwand.
    »Sie hat es hinausgeschafft«, sagte Karen hinter mir. »Können wir das auch?«
    »Karen – « Ich wandte mich um. Karen und Hoshibara waren weg. Die Landschaft löste sich auf und wurde farblos und schmierig, und der Wind roch plötzlich nach Rosen. Ich schloss die Augen –
    – und öffnete sie am Rand von Acacias Wald, wo ich zwischen eng verschlungenen Zweigen versteckt lag. Der Himmel war schwarz, und meine Kerze war mindestens zehn Zentimeter kürzer. Was immer Luna mir da verabreicht hatte, hatte mich für längere Zeit aus dem Verkehr gezogen, und meine Zeit lief ab.
    Langsam stand ich auf und lehnte mich an den nächsten Baum. Ich war wieder in Blind Michaels Landen, und ich wusste jetzt, wie Luna ihre Flucht bewerkstelligt hatte und warum sie willens gewesen war, mich zu opfern, um ihre Freiheit zu behalten. »Der Zweck heiligt die Mittel«, flüsterte ich. »Oh, Luna.«
    Die Stichwunden an meinen Fingern waren rot und geschwollen und brannten, wenn ich Druck darauf ausübte. Na, herrlich. »Toby vergiften ist anscheinend das Motto der Woche«, murmelte ich und schaute hinaus auf die dunkle Ebene. Dichter Nebel hatte sich gebildet und bleichte die Landschaft aus. Trübe schimmerten die Lichter von Blind Michaels Hallen in der Ferne.
    Die Gegenwart war die Zeit, die zählte, und es gab keine Minute zu vergeuden. Zitternd trat ich aus dem Schutz der Bäume hervor und marschierte los. Das eintönige Weiß der Landschaft ringsumher verlieh meiner Wanderung eine geisterhafte Note, auf die ich gut hätte verzichten können. Felsen sahen aus wie dräuende Ungeheuer, bis ich nahe genug herankam, um sie deutlich zu erkennen. Gestrüpp und vereinzelte Grasbüschel machten den Boden zum Hindernisparcours. Ich hielt meine Kerze hoch, um mir den Weg zu erhellen, und sie vertrieb den Nebel gerade weit genug, um mich zu vergewissern, dass ich noch geradeaus ging. Ihre Flamme war mein Kompass und das Licht von Blind Michaels Hallen mein Leuchtturm in der Nacht.
    Nichts hielt mich auf, als ich so durch die Nebel zog, das Land um mich lag schweigend da. Meine Kerze brannte langsam immer weiter herunter, und als sie weitere zwei Zentimeter kürzer war, stand ich vor den Hallen. Mir wurde bewusst, wie völlig ungeschützt ich war: Die Wächter würden mich bald bemerken. Ich duckte mich hinter eine bröckelnde Mauer und warf einen Blick in die Runde, um im Nebel nach Anzeichen von Bewegung zu suchen.
    Die Luidaeg hatte gesagt, Blind Michael habe Karens Bewusstsein geraubt, ihr »Selbst«. Dass mir bei dieser Formulierung ganz kalt wurde, lag an der Erinnerung an ALH . Dort hatte Januarys Apparatur das »Selbst« aus Leuten gezogen, sie restlos leer gesaugt, und der Schock dieser Ablösung hatte sie getötet. Ich glaubte nicht, dass Karens Selbst ein manifester Körper war, den man kurzerhand in eine Zelle sperren konnte. Er musste es irgendwo anders aufbewahren, in einem solideren Gefäß. Vielleicht in einem Schmuckstück oder Spielzeug, aus dem sie nicht entkommen konnte. Also wo sollte ich suchen?
    Die Schmetterlingskugel, die er mir gezeigt hatte. Das musste Karens Selbst sein, das sich im Glas eingeschlossen zu Tode flatterte beim verzweifelten Versuch freizukommen. Aber wo war sie jetzt? Er hatte sie bei sich gehabt. Möglicherweise trug er sie immer noch mit sich herum, oder er hatte sie seinen monströsen Kindern zum Spielen gegeben. So oder so, ich musste sie ihnen wegnehmen. Keine der beiden Möglichkeiten schien mir wahrscheinlicher als die andere, und schließlich entschied ich mich, es erst bei den Kindern zu versuchen. Sie waren immer noch das kleinere Übel. Eine fruchtlose Begegnung mit ihnen konnte ich vielleicht überleben und eine zweite Chance bekommen, wenn ich falschlag. Das ließ sich von ihm nicht ohne Weiteres sagen.
    Alleine im Dunkeln Blind Michaels Besitz zu durchforsten war eine Erfahrung, die ich nie wiederholen möchte. Ich schlich von Gebäude zu Gebäude, und beim leisesten Geräusch erstarrte ich und hielt den Atem an. Nichts sprang mich aus der Dunkelheit an, und irgendwie war das absolut nicht beruhigend. Ich hatte keine Ahnung, ob ich gerade schnurstracks in eine Falle tappte, ich konnte nur weitermachen. Bei der Ruine mit den abgebrochenen Wänden blieb ich stehen. Von außen sah sie anders aus, aber ich erkannte sie auf Anhieb wieder. Meine Gefängnisse erkenne ich immer.
    Die Außenmauern bestanden aus

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