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October Daye: Nachtmahr (German Edition)

October Daye: Nachtmahr (German Edition)

Titel: October Daye: Nachtmahr (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Seanan McGuire
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jeden Rekord.«
    »Deshalb bitte ich dich ja, davon abzusehen.« Er beugte sich vor und lehnte seine Stirn an meine, seine Hände rahmten immer noch mein Gesicht. »Bist du wohlauf? Bist du wirklich wohlauf?«
    Was sollte ich darauf antworten? Nein, ich war nicht wohlauf. Ich war sogar sehr, sehr weit entfernt davon. Ich fühlte mich missbraucht. Ich fühlte mich, als hätte jemand auf der Innenseite meiner Haut widerliche Flecken hinterlassen, und mein Sichtfeld verschwamm ständig an den Kanten, als versuchte es immer noch, sich aufzuspalten. Blind Michael hatte besondere Pläne mit mir gehabt, und seine Haken saßen noch immer tief in mir drin.
    Ich löste mich von ihm, trat zurück und gab seine Hände frei. »Ja«, sagte ich. »Mir geht’s gut.«
    Er schaute unsicher drein, ließ es aber auf sich beruhen. Es gab so viel zu tun. Manche Kinder hatten so lange keine menschliche Gestalt mehr getragen, dass sie vergessen hatten, wie man sie erzeugte. In dem Tumult, der entstand, als ihre Eltern sie durch die einzelnen Schritte lotsten, konnte ich mich etwas abseits begeben und hatte Ruhe vor weiteren unbehaglichen Fragen, sodass ich meine eigene Tarnung anlegen konnte. Vielleicht hatte die lange Pause meine Magie gestärkt, denn es fiel mir überraschend leicht, meinen Schutzbann zu weben. Nach nicht mal einer Minute hatte ich mich in eine überzeugende sterbliche Fassade gehüllt.
    Ich war eine der Letzten. Kaum war meine Illusion wirksam geworden, da ließ die Luidaeg die Arme sinken, und der Lichtkegel fiel in sich zusammen. Die letzte dünne Schicht von Unwirklichkeit zwischen uns und der Nacht der Sterblichen verging, und die Geräusche und Gerüche einer typischen San Franciscoer Halloweennacht drängten herein. Es hätte sich tröstlich anfühlen müssen, doch das tat es nicht, und ich spürte, wie mir innerlich kalt wurde.
    Es fühlte sich nicht wie zu Hause an.
    »Feierabend, Leute«, sagte die Luidaeg, trat neben mich und spähte über die Menge. »Ab nach Hause mit euch allen, los jetzt, verdammt. Bringt die Schutzzauber an und verwendet die Sprüche, die ich euch gesagt habe. Es kann dauern, aber sie werden wieder.« Einige der Eltern begannen zu tuscheln, und hier und da hoben sich schüchtern fragende Hände. Die Luidaeg machte ein finsteres Gesicht. »Seh ich aus wie ’ne verfluchte Kummerkastentante? Verpisst euch.«
    Das überzeugte auch die hartnäckigsten Zweifler, dass sie jetzt anderswo besser aufgehoben waren. Die Menge wogte kurz und zerstreute sich dann in alle Richtungen. Ich blickte die Luidaeg an. Sie stand nahe genug, dass ich die feinen Haarrisse in ihrer menschlichen Fassade sah, die Stellen, wo ihre Fremdartigkeit durchschimmerte. Zum ersten Mal schaffte sie es nicht mehr, ihre wahre Natur zu verschleiern, und das war beängstigend. Blind Michael war stärker als sie.
    »Luidaeg?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Noch nicht, Toby. Bald, aber jetzt noch nicht. Ich nehme das Menschenmädchen mit, vielleicht kann ich etwas für sie tun. Du geh mit nach Schattenhügel und finde raus, was du als Nächstes vorhast.«
    Ich kicherte humorlos. »Du meinst, abgesehen davon, nie mehr zu schlafen?«
    »Du kamst hin mit der Kerze Licht, aber du bist nicht auf demselben Pfad zurückgekommen.« Sie beugte sich vor und sagte ganz, ganz leise: »So leicht lässt er nicht los.« Dann richtete sie sich kerzengerade auf, wandte sich ab und ging mit langen, raumgreifenden Schritten davon. Ich starrte ihr nach.
    Als Luna kam, meinen Arm nahm und mich in Richtung Parkplatz schob, ging ich wortlos mit. Sie hatten einen kleinen Bus gemietet, um alle zum Golden Gate Park zu verfrachten und anschließend wieder nach Schattenhügel zurückzubringen. Cassandra kletterte auf den Fahrersitz, was einleuchtend war: Bis auf Connor und mich hatte womöglich kaum jemand hier einen Führerschein, und ich zumindest war wirklich nicht in der Verfassung zu fahren.
    Die Hälfte der Kinder schlief sofort ein, schlaff gegen ihre Eltern gelehnt. Ich landete zwischen Connor und Tybalt. Sie warfen sich über meinen Kopf hinweg grimmige Blicke zu. Ich hatte eine ziemlich klare Vorstellung, worum es dabei ging, aber ich mochte mich nicht damit befassen. Stattdessen schloss ich die Augen, kuschelte mich in den Umhang und lehnte mich im Sitz zurück. Das Ganze kam mir vor wie die Einleitung zu einem blöden Witz: Reinblüter, Wechselbälger, ein Holing und die Herzogin von Schattenhügel sitzen in einem Bus …
    Irgendwann döste ich

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