October Daye: Winterfluch (German Edition)
Richtungen um sich, während er versuchte, sich zu befreien. Ich verdrehte das Messer heftiger, ließ mich von den Schmerzen, die das über meine Hände strömende Blut verursachte, nicht dazu bringen, den Griff zu lösen. Es fühlte sich an, als würde mir die Haut von den Knochen gefressen. Sollte das geschehen, würde es vermutlich wenigstens aufhören wehzutun. Ich hörte, wie Dare brüllend und fluchend erneut zustieß, und der Doppelgänger fiel. Reglos landete er auf dem Boden, nach wie vor mit mir auf dem Rücken.
Als ich sicher war, dass er seine letzte Zuckung getan hatte, löste ich meine widerwilligen Hände von Dares Messer und zwang mich aufzustehen. Dares letzter Streich hatte die Kehle des Ungetüms so aufgerissen, dass sie an eine schaurige Parodie von Evenings Tod erinnerte. Ein Schauer säureartigen Blutes hatte sie bespritzt. Mit einer Hand umklammerte sie ihr letztes Messer, die Augen geweitet und glasig vor Schock.
Manuel stolperte wieder zur Tür herein. Offenbar hatte er sich gerade erst aufgerappelt. Für Außenstehende dauert ein Kampf nie so lange, wie er sich für Beteiligte anfühlt. Vier parallele Schnittwunden verliefen über die Brust des Jungen und kennzeichneten, wo der Doppelgänger ihn getroffen hatte. Herzlichen Glückwunsch, Junge. Deine ersten Narben. »Wa s … «
Die Ränder des Doppelgängers begannen schon zu rauchen und zu verschwimmen. Ich wich davor zurück. »Das ist der Teil, bei dem er schmilzt.« Und genau das tat er. Die Kreatur löste sich zu einer Pfütze klebrigen Schleims auf, die ich nie und nimmer aus dem Teppich bekäme.
»Ms. Daye?«, sagte Dare mit überraschend kleinlauter Stimme. Hatte sie tatsächlich zum ersten Mal getötet? Bei Oberons Blut, hatte ich gerade mit angesehen, wie sie den letzten Rest ihrer Unschuld verloren hatte? »Ms. Daye, geht es Ihnen gut?«
Ich wandte mich ihr zu. Einem Teil meines Gehirns fiel sinnloserweise auf, dass ihre Augen noch grüner wirkten, wenn ich vor Eisenvergiftung und Blutverlust ganz benommen war. »Nein«, antwortete ich und hätte fast gelächelt, als sich die Schmerzen endlich wieder legten. Ein Schockzustand bewirkt so etwas. »Ich bin ziemlich sicher, dass es mir nicht gut geht. Aber es war nett von dir, dich danach zu erkundigen.« Dann brach ich zusammen. Das Bewusstsein zu verlieren wurde allmählich zur Gewohnheit.
Kapitel 19
S timmen drangen durch den Nebelschleier. Ich versuchte nicht zu reagieren und wartete darauf, dass die Dinge, die sie sagten, verständlich wurden, bevor ich den unwiderruflichen Schritt unternehmen würde, die Augen zu öffnen. Sobald man zugegeben hat, dass man am Leben ist, wird einem in der Regel nicht mehr erlaubt, sich weiter tot zu stellen.
»Ich dachte, ich hätte euch beiden aufgetragen, euch um sie zu kümmern!«, brüllte Devin. Seine Stimme hörte sich an, als wäre er nur wenige Schritte entfern t – und er klang stinksauer. Wenn es möglich war, dass ein Wechselbalg an Bluthochdruck starb, so würde ihm dies wahrscheinlich eines Tages gelingen. Wann war Devin zu meiner Wohnung zurückgekommen? Ich ging meine Erinnerungen an den Tag durch und konnte mich nicht entsinnen, ihn hereingelassen zu haben.
Die Luft roch nach Zigarettenrauch. Ich bin nie Raucherin gewesen, und dieser Gedanke ließ die revolutionäre Idee entstehen, dass wir uns vielleicht gar nicht in meiner Wohnung befanden. Ich verkrampfte mich kurz, dann entspannte ich mich wieder und wartete. Wenn Devin da war, schwebte ich jedenfalls nicht in Gefahr. Nun ja, jedenfalls in keiner großen Gefahr.
»Wir waren doch auch rechtzeitig dort!«, begehrte Dare mit verzweifelter Stimme auf. Armes Kind. Sie war ein Gör, aber sie hatte ihr Bestes getan. Immerhin hatte sie mir den Hintern gerettet, und ich war ihr dafür dankbar.
»Rechtzeitig wofür? Um dabei zuzusehen, wie sie abgeschlachtet wird? Großartige Idee! Warum habt ihr keine Kamera mitgenommen? Ihr hättet Bilder schießen können!«
»Sie ist aber nicht tot!«, schrie Dare, wobei sie sich den Tränen nahe anhörte. Devin brachte seinen Kindern nie bei, sich gegen ihn zu verteidigen; vielmehr lehrte er sie, dass Unterwürfigkeit eine Tugend sei. Wenn man ihn sich vom Leib halten wollte, musste man es selbst und ohne Hilfe von außen lernen. Das war die erste Lektion, die man zu verinnerlichen hatte, bevor man ihn verlassen konnte.
»Was sie gewiss nicht euch beiden zu verdanken hat.«
Beiden? Ich hatte bislang nur Dare sprechen gehör t – wo
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