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October Daye: Winterfluch (German Edition)

October Daye: Winterfluch (German Edition)

Titel: October Daye: Winterfluch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Seanan McGuire
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hochgehalten, bis ich anfing, Wasser zu treten. Die Wellen entpuppten sich als recht mild; sobald ich wieder atmen konnte, hielt ich nach dem Ufer Ausschau. Wenn ich es erreichen könnte, bevo r … nun, es gab eine Menge »Bevors«, die mir Kopfzerbrechen bereiteten. Bevor der Fluch zuschlug, bevor ich vollends in Panik geriet, bevor ich ertran k …
    Selkie. Ich war mit einem Selkie von einer Klippe ins Meer gestürz t – und hatte gefürchtet zu ertrinken. Wäre ich nicht so müde gewesen, ich hätte mich geschämt. Der Fluch brannte, als könne er jeden Augenblick zuschlagen; mir blieb vermutlich nicht viel Zeit.
    »Connor?«, stieß ich also mit zittriger Stimme hervor. »Bringst du mich ans Ufer?« Er nickte, schwamm näher heran und ließ mich die Arme um seinen Hals schlingen. Sein Körper war beinah so lang wie der meine, zudem so stark und gesund, wie es echte Seehunde nur selten sind.
    Wir befanden uns lediglich rund dreißig Meter vom Ufer entfernt, aber wenn man auf einem Seehundrücken reist, ist das mehr als genug für einen entschieden unangenehmen Ritt. Ich ließ die Augen geschlossen und versuchte, das Klatschen der Wellen gegen mein Gesicht zu vergessen. Es ist unhöflich, sich vor Seekrankheit auf das Genick seines Begleiters zu erbrechen, so verlockend es auch sein mochte.
    Als ich bereits dachte, ich könnte es nicht länger ertragen, hievte uns die Flut auf den Sand. Ich rappelte mich auf die Beine und wankte vom Wasser weg. Ich schaffte es fast bis zum trockenen Sand, bevor mich der Fluch wie ein in Rosenwasser getauchter Amboss traf und mich auf die Knie sinken ließ. Es blieb keine Zeit, um zu kämpfen, nicht einmal, um zu schreien. Die echte Welt verpuffte, ich war verloren.
    Vielleicht war es eine Folge meiner mit Müh und Not unterdrückten Panik; vielleicht wurde der Fluch auch geschickter darin, mich zu verletzen. So oder so, diesmal ging es nicht nur um Evenings Tod. Mühelos durchwühlte er meine Erinnerungen und zog den grauenhaften Augenblick daraus hervor, in dem meinen Lungen vergaßen, was Luft war, um ihn mir in einem ordentlichen Paket aus Blutmagie und Eisen darzureichen. Der Sand erschauderte und wurde zunächst zu einem blutigen Teppich, dann kam das feuchte, von der Sonne aufgeheizte Holz des Teegartenpfads. Sofern ich schrie, vergruben die Erinnerungen den Laut. Es gab keine Gegenwart, nur die Vergangenheit, und ich ertrank darin.
    Jemand schüttelte mich. Keine der Erinnerungsschlingen, die mich in ihren Klauen hatten, beinhaltete ein Schüttel n – Zappeln, Bluten und Sterben, ja, aber kein Schütteln. Ich versuchte, mich bis zu dem Schütteln emporzukämpfen, und wurde von einem Strauß Phantomrosen zurückgeschlagen, der mich hinabdrückte. Undeutlich, aus weiter Ferne vernahm ich nun Geschrei. Ich vermochte nicht zu sagen, ob es von mir stammte oder nicht. Das spielte auch keine Rolle. Diesmal würde kein Tourist auftauchen, der mir ins Wasser half. Mein Herzschlag glich einem Trommeltakt, der sich unter dem Gewicht von Blut, Eisen und verworrenen Erinnerungen verlangsamte.
    Ich fragte mich, ob die Schmerzen jemals enden würden.
    Dann schlug mich Connor.
    Der neue Schmerz war physisch und stechend und half mir, ein wenig Boden gutzumachen. Mein Herzschlag beschleunigte sich, als Connor mich wieder und wieder schlug. Die Schmerzen steigerten sich mit jedem Mal und ermöglichten es mir, schrittweise auf die echte Welt zuzuklettern.
    Er holte gerade mit der Hand aus, um mich erneut zu schlagen, als ich die Augen öffnete. »He«, sagte ich mit rauer Stimme, »du kannst jetzt aufhören. Bitte.«
    »Ich dachte, du würdest sterben«, erwiderte er mit geweiteten Augen.
    »Willkommen im Klub«, gab ich zurück, um flapsig zu wirken. Es gelang mir aber nicht. Ich wollte mich schon aufsetzen, da legte er einen Arm um mich, sodass ich mich gegen ihn lehnen konnte.
    »Was ist passiert?«
    »Ich habe zu viel Wasser geschluckt.«
    »Lass dir etwas anderes einfallen«, entgegnete Connor nüchtern. »Ich bin ein Selkie, schon vergessen? Wir ertränken Leute auf halb professioneller Basis. Ich weiß, wie Ertrinken aussieht. Wenn du denkst, ich würde glauben, du hättest zu viel Wasser geschluckt, musst du mich entweder für blind oder für dumm halten. Ich weiß nicht, was schlimmer ist.«
    Ich blinzelte und errötete. Selbstverständlich hatte ich nicht beabsichtigt, ihn zu beleidigen; mir war nur nicht klar gewesen, dass meine Lüge so offensichtlich sein würde. Natürlich

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