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October Daye: Winterfluch (German Edition)

October Daye: Winterfluch (German Edition)

Titel: October Daye: Winterfluch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Seanan McGuire
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stellte eine tadellose Reihe nadelscharfer Zähne zur Schau. »Nett.« Er zischte. »Weniger nett. Was ist denn los?« Er duckte sich von meiner Hand weg, rasselte mit den Stacheln und wölbte den Hals. Etwas Rotes war um seine Kehle gebunden. »He y – was hast du denn da?«
    Er begann wieder zu »schnurren« und neigte den Kopf, um mir die rote, um seinen Hals gebundene Samtschleife zu zeigen. Etwas Silbriges hing daran. Ich griff danach, löste die Schleife vorsichtig und zog sie über den Kopf des Rosenkobolds. Das kleine Geschöpf hielt still und schnurrte die ganze Zeit ermutigend, aber trotz seiner symbolischen Unterstützung pikte ich mich fünf Mal, bevor ich die Hand mit der Schleife zurückzog.
    Ich erkannte den Schlüssel, bevor ich ihn sah: Meine Hand erinnerte sich an sein Gewicht, obwohl sie ihn noch nie zuvor gehalten hatte. Das Bild eines Luftgeists mit Flügeln wie Herbstblätter, der aus Evenings Fenster huschte und für seine Dienste mit Blut bezahlt worden war, zuckte durch meinen Verstand. Ich war nicht dabei gewesen, trotzdem erinnerte ich mich daran. Blut besitzt in Faerie Macht, und jene Macht ist umso größer, wenn das Blut aus freien Stücken gegeben wird. Nur die Daoine Sidhe sind fähig, Erinnerungen aus Blut zu lesen, andere Rassen können es jedoch auf andere Weise verwende n – jeder braucht ein wenig Tod. Jener Luftgeist würde in der Lage gewesen sein, Evenings Magie zumindest die Nacht hindurch nachzuahmen, vielleicht auch länger. Jedenfalls lang genug, um selbst den einen oder anderen kleineren Handel abzuschließen.
    Die kleineren Bürger von Faerie haben eine eigene Kultur und eigene Gebräuche. Die meisten von uns sind auf die eine oder andere Weise fast menschlich: beinah menschengroß und beinahe auch menschlich gesinnt. Die kleineren Völker haben sich dieses »beinah« nie angeeignet. Sie verachten den Rest von uns dafür und grollen uns. Sie tragen keine Anzüge, nehmen keine Hypotheken auf und besuchen keine Elternsprechtage. Sie spuken auf den Gartenpfaden und leben im Raum zwischen dem, was das Auge sieht und was es lieber übersieht. Und sie geben nie vor, etwas zu sein, was sie nicht sind. Ich schätze, das macht es schwieriger zu vergessen, was sie wirklich sind. Und was sie sind, ist unmenschlic h … und gierig. Ich konnte mir ohne Weiteres vorstellen, dass der Luftgeist, den Evening bezahlt hatte, einen Kobold befehligen würde, um den Handel zu Ende zu bringen, ohne sich selbst zu gefährden.
    Der Rosenkobold begann, sich zu putzen, als ich meine Hand zurückzog. Wie eine Katze säuberte er den Bereich zwischen den Klauen seiner Vorderpfoten. Ich beobachtete ihn einen Augenblick lang, bevor ich auf den Schlüssel hinabblickte. Er bestand aus graviertem Silber und war von so vielen Ringen aus Efeu und Rosen bedeckt, dass er kaum als Schlüssel erkennbar war. Aber ich kannte seine Natur: Er wusste, was er tun sollte. Die Rosen am Stiel näherten sich nie den Zähnen. Sie würden nicht stören. In meiner Hand fühlte er sich warm und schwer an, und er strahlte ein fahles Licht aus, das den Nebel rings um ihn färbte. Ich bekam den Eindruck, es gäbe nur sehr wenige Türen, die er nicht würde öffnen können. Ich hoffte bloß, er würde auch diejenigen bewältigen, die mir bevorstanden.
    Plötzlich hatte ich den erstickenden Geschmack von Rosen auf der Zunge, der zusammen mit dem Piksen von Phantomdornen auf mich einstürmte. Hätte mir nicht bereits die Logik gesagt, dass der Schlüssel wichtig war, die unverhoffte Stärke von Evenings Fluch hätte es auf jeden Fall getan. Es war ein Hinweis und zugleich ihr Abschiedsgeschenk an mich. Sie hatte mir eine Aufgabe übertragen, mit der nach wie vor das zweifelhafte Privileg einherging, unter Umständen in ihren Diensten zu sterben. Vielleicht hatte sie mir auch den Schlüssel zu meiner Erlösung gegeben.
    »Also, wohin gehen wir jetzt?«, fragte ich und schaute zum Auto zurück.
    Der Rosenkobold war verschwunden, und der Nebel, den er mitgebracht hatte, lichtete sich bereits. Ich verkniff mir einen Fluch, biss mir gleichzeitig auf die Zunge und zischte, um mich davon abzuhalten zu brüllen. Der Kobold verkörperte meine einzige mögliche Verbindung zu dem Schloss, in das der Schlüssel passte, und ich war so dumm gewesen, ihn aus den Augen zu lassen. Wahrscheinlich war er in der Sekunde verschwunden, in der ich wegschaute. Einfach großartig! Ich lehnte mich gegen das Auto und schloss die Augen. Das Metall fühlte

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