October Daye: Winterfluch (German Edition)
Zeichen. Wenn sich die Kopfschmerzen verschlimmerten, wirkte der Zauber wahrscheinlich schon. Ich presste die Kugel zu einer Scheibe und murmelte: »Bitte pass die Horizontale nicht an. Bitte pass die Vertikale nicht an. Wir haben Kontrolle darüber, was man sieh t … « Die Luft auf der anderen Seite des von mir eingesammelten Nebels lichtete sich, bis ich etwas hielt, das praktisch zu einem tragbaren Fenster durch das Grau geworden war. Meine Kopfschmerzen flammten kurz auf, bevor sie zu einem trägen, mahlenden Pochen abklangen. Es war zwar nicht gerade angenehm, aber ich hatte schon Schlimmeres erlebt: Damit konnte ich leben.
Ich hielt die Scheibe auf Armeslänge und begann, mich langsam im Kreis zu drehen. Bei der zweiten Runde erblickte ich mein Ziel: eine Kreatur von der Größe und Gestalt einer kleinen Katze, die auf dem Dach meines Wagens kauerte, übersät mit kurzen, weich aussehenden rosa und grauen Dornen. Kürzere Stacheln verliefen über die Ohren und die Schnauze, sodass das Geschöpf wie eine Kreuzung zwischen einer Hauskatze und einem Rosenbusch wirkte, zudem zierlich, harmlos und völlig fehl am Platz. Ein Rosenkobold. Weder einer der größeren noch einer der übleren Bewohner von Faerie. Für gewöhnlich trifft man sie nicht in städtischer Umgebung an.
Die Kreatur rasselte mit ihren Dornen, als sie bemerkte, dass ich sie ansah, und jaulte tief in der Kehle: ein knirschender, fast unterschallartiger Laut. Der Nebel, der rings um sie wirbelte, roch nach Staub und Spinnweben. Das war eine weitere Seltsamkeit. Normalerweise riechen Rosenkobolde nach Torfmoos und Rosen, und wenn sie auch einige Taschenspielertricks beherrschen, Nebelwirken gehört jedenfalls nicht dazu. Welcher Zauber auch immer diesen Nebel erschaffen hatte, er haftete an dem Kobold, aber die Kreatur selbst hatte ihn nicht entstehen lassen.
»Was tust du denn hier?«, fragte ich und bemühte mich, meiner Stimme einen gemessenen, beruhigenden Klang zu verleihen. Jemand musste diesen Kobold in magischen Nebel gehüllt und zu mir geschickt haben. Wer immer es getan hatte, er musste schlau genug sein, den Kobold zu binden, damit dieser die Aufgabe erfüllte. Oder er war ziemlich verzweifelt. Rosenkobolde geben keine guten Boten für jemanden ab, der keine handfeste Möglichkeit hat, sie zu kontrollieren. Sie sind etwa so intelligent wie die Katzen, denen sie ähneln, aber sie sind mit den Dryaden verwandt und haben mit diesen deren Flatterhaftigkeit gemein. Entsendet man einen Rosenkobold auf einen Botengang, lässt man ihm besser etwas folgen, um zu gewährleisten, dass er sich auch daran erinnert zurückzukommen.
»Hallo, kleiner Bursche«, sagte ich, ließ die Nebelscheibe los und trat auf den Wagen zu. Der Kobold würde nicht verschwinden können, solange ich ihn im Auge behielt. Rosenkobolde sind zwar Reinblütler, aber nicht besonders stark. Sogar ein Wechselbalg hat gute Aussichten, sie im Griff zu behalten. Die Kreatur heulte erneut und presste sich flach gegen das Autodach, bis sie einem Fußvorleger mit Stacheln glich. Ich wartete ab und hob die Hände. »Ich will dir nicht wehtun. Ich bin eine Freundin von Luna. Du kennst doch Luna, oder? Natürlich kennst du sie. Alle Rosen kennen si e … «
Der Rosenkobold hörte auf zu heulen und musterte mich mit großen, schimmernden Augen. Gut. Manche Blumengeister sind enger mit ihren Ursprüngen verknüpft als andere, und Rosenkobolde neigen dazu, sich an die Pflanzen zu klammern, die sie gebären. Was ich gesagt hatte, meinte ich ernst: Ich war noch keiner Rose begegnet, die Luna Torquill nicht kannte. Eine Legende für Blumen zu sein, stellte ich mir interessant vor. Während der Beschneidungszeit hat sie zweifellos alle Hände voll zu tun.
Der Kobold setzte sich auf und heulte abermals: tief in der Kehle. Rosenkobolde können nicht sprechen, was es ziemlich abenteuerlich gestaltet, etwas aus ihnen herauszubekommen.
»Du siehst nicht verletzt aus.« Ich beugte mich vor und reichte ihm meine Hand. Das Heulen verstummte und wurde durch etwas ersetzt, das an ein Schnurren erinnerte, als die Kreatur den Rücken gegen meine Finger wölbte. Rosenkobolde sind wie Stachelschweine gebau t – wenn man sie auf die richtige Weise streichelt, braucht man sich wegen der Stacheln keine Sorgen zu machen. In dieser Hinsicht ähneln sie in gewisser Weise auch Personen. »Was bist du doch für ein freundlicher kleiner Kerl.« Er war wirklich recht niedlich.
Der Kobold öffnete den Mund und
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