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October Daye: Winterfluch (German Edition)

October Daye: Winterfluch (German Edition)

Titel: October Daye: Winterfluch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Seanan McGuire
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Mutter wäre es ein Kinderspiel gewesen, einen Weg durch die Büros zu finden, aber ich kannte die Grenzen meiner Wechselbalg-Augen. Wenn ich ihnen nicht die Zeit ließe, sich an die Umgebung zu gewöhnen, würde ich mir an irgendjemandes Schreibtisch die Schienbeine anschlagen.
    Leider passten sich meine Augen nicht an. Mein Kopf schmerzte, und dank der teuren getönten Fensterscheiben drang so gut wie kein Umgebungslicht in die Büros. »Nächstes Mal bringe ich eine Taschenlampe mit«, brummte ich. Plötzlich flammte der Schlüssel in meiner Hand strahlend weiß auf. Mit einem leisen, spitzen Schrei zuckte mein Gesicht davon weg.
    Es dauerte eine Weile, bis die Nachbilder verblassten. Als ich sicher war, nicht auf Lebenszeit geblendet zu sein, wandte ich mich wieder dem Schlüssel zu, der in einem üppigen, rosafarbenen Licht schimmerte. Einen Augenblick lang starrte ich ihn an, dann schüttelte ich den Kopf und murmelte: »Reizend.« Den Schlüssel wie eine Jugendstilfackel vor mir ausgestreckt, begann ich, mir einen Weg durch das Gewirr der Schreibtische zu bahnen.
    Nahezu alle Arbeitsplätze zierten kleine persönliche Gegenständ e – ein Foto, Plüschspielzeug, die Zeichnung eines Kindes. Einer der Schreibtische glich praktisch einem Schrein für Glöckchen, übersät mit einem halben Dutzend Keramikdarstellungen der wohl berühmtesten Fee der Welt. Ich hielt inne und betrachtete ein Bild des kleinen blonden Miststücks, wie es geziert auf einem Fingerhut posierte. Jeder Wechselbalg der Welt würde es mit Freuden in einen Mikrowellenherd stopfen, aber leider ist Disney mächtiger, als die meisten von uns je zu werden hoffen können. Kopfschüttelnd ging ich weiter.
    Die meisten Schreibtische standen in offenen Kabinen, es gab jedoch auch einige geschlossene Büros entlang der hinteren Wand, deren Türen sich als versperrt erwiesen. Diejenige, zu der es mich zog, verbarg sich in der entferntesten Ecke, dort, wo die Aussicht auf die Stadt am besten sein würde. Auf der Tür prangte ein schlichtes Namensschild aus Messingimitat. »Evelyn Winter« stand darauf eingraviert. O Evening. Wir hatten einander so gut gehasst und so schlecht gelieb t … und ich hatte keine Ahnung, was ich ohne sie tun würde.
    Ich hob den Schlüssel höher und flüsterte: »Evening, es tut mir leid.« Ein Klicken ertönte, als sich das Schloss öffnete, und die Tür schwang auf.
    Manche Leute leben, wo sie arbeiten. Andere kommen nur zu Besuch. Für Evening stellte Third Road Enterprises lediglich eine Zerstreuung dar. Ihr Büro präsentierte sich praktisch leer, was auch ihren Mangel an wahrer Hingabe für die Firma widerspiegelte. Die Lebenszeit eines Sterblichen kam für sie lediglich bloßem Kleinkram gleich. Gemessen an Fairiezeit war es nur eine Art Spiel, dreißig Jahre damit zu verbringen, ein Unternehmen aufzubauen. Weder auf ihrem Schreibtisch noch an den Wänden wies etwas darauf hin, wer hier arbeitete oder ob die Person zurückkäme.
    In einem Anflug von morbidem Humor flüsterte ich. »Na, wenigstens muss hier nicht viel aufgeräumt werden.« Ich hatte keinen Schimmer, wonach ich suchte oder wie es überhaupt aussehen würde. Evenings Trugbanne zählten zu den stärksten, die ich je gesehen hatte, und waren selbst für eine Daoine Sidhe bemerkenswert. Wenn sie das, was es zu finden galt, versteckt hatte, dann wahrscheinlich mittels eines Zaubers, den ich nicht sehen, geschweige denn brechen könnte.
    Nachdem ich den Raum einige Minuten durchsucht hatte, begann ich, mich langsam im Kreis zu drehen, wobei ich den Schlüssel wie eine Wünschelrute hielt. Auf sonderbare Weise erschien mir dies auch durchaus sinnvoll: Immerhin hatte mir der Schlüssel Einlass verschafft. Vermutlich war er mit dem verbunden, was ich zu finden versuchte. Ich drehte mich zweimal vollständig herum, bevor der Schlüssel zu vibrieren anfing und mir um ein Haar aus den Händen sprang, da er in die Richtung des Aktenschranks neben dem Fenster zog. Ich senkte ihn, kniete mich hin und setzte die Suche fort.
    Drei der vier Schubladen ließen sich mühelos öffnen. Die zweite von oben steckte fest, und als ich den Griff berührte, fühlte sich dieser unnatürlich kalt an: ein unverkennbares Zeichen für Evenings Magie. »Schon gut, Evening«, sagte ich und berührte die Schublade mit dem Schlüssel. »Ich bin als Erste hergekommen.«
    Der Bindungszauber löste sich mit einem schneekalten Luftstoß, begleitet von Rosenduft. Als ich es erneut versuchte,

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