October Daye: Winterfluch (German Edition)
schenkte ihnen keinerlei Beachtung. Meine Gedanken weilten in weiter Ferne und kauten immer und immer wieder Evenings Tod durch. Ich hatte nicht von ihr geträumt. Eigentlich hatte ich gedacht, das wäre eine Gnade, doch wie sich nun herausstellte, hatten die Träume bloß darauf gewartet, dass ich erwachte. Ich Glückspilz.
Nachdem ich eine halbe Stunde lang über die eigenen Füße gestolpert war, hatte ich mich endlich fertig angezogen und trug eine saubere Jeans sowie eine schlichte weiße Bluse, und darüber einen grauen Pullover mit grobem Strickmuster, um mich zu wärmen. Der Himmel präsentierte sich grau bewölkt, weshalb ich anfing, meinen Mantel erst richtig zu vermissen. Allerdings hielt ich es für keine gute Idee, zum Hof der Königin zurückzukehren und danach zu fragen. Nach kurzem Zögern steckte ich mir den Schlüssel, den ich dem Rosenkobold abgenommen hatte, in die Hosentasche.
Die Katzen miauten danach, gefüttert zu werden. »Ich behaupte immer noch, dass ich euch bereits etwas zu fressen gegeben habe«, sagte ich, als ich ihre Schale füllte. Anschließend bereitete ich mir ein Sandwich mit Erdnussbutter und Marshmallow-Aufstrich zu, wobei ich von der zwar traurigen, zugleich aber durchaus begründeten Annahme ausging, dass ich keine weitere Gelegenheit zum Essen bekommen würde. Zu meiner Überraschung schmeckte es mir, und ich machte mir ein zweites Sandwich, bevor ich ins Badezimmer ging, um meine menschliche Tarnung anzubringen.
Vielleicht tat es mir gut, verflucht zu sein, denn der Zauber fügte sich beim ersten Versuch zusammen und stumpfte die spitzen Winkel und Kanten meiner Ohren und Wangen in etwas Menschlicheres ab. Die Haare ließ ich offen, um jene Winkel und Kanten zusätzlich zu verhüllen.
»Ich schaffe das«, sagte ich zu meinem Spiegelbild. Es widersprach mir nicht.
Die Katzen befanden sich auf der Couch, als ich das Badezimmer verließ, und beobachteten teilnahmslos, wie ich die Wohnung durchquerte und zur Tür hinaustrat. Im Vorbeigehen griff ich mir die Schlüssel von der Anrichte. Um die Schutzbanne neu einzustellen, benötigte ich nur Sekunden; erneut fiel mir die Magie überraschend und beunruhigend leicht. Auf dem schmalen Grasstreifen neben der Tür wuchsen wilde Pilze. Ich hielt inne, um einige zu pflücken, und stopfte sie mir in die Hosentasche. Man weiß ja nie, was man alles gebrauchen kann.
Niemand war in Sicht, als ich zu meinem Auto ging. Es war zu kurz vor Weihnachten. Alle waren entweder bei der Arbeit, beim Einkaufen oder bei ihren Familien. Jedenfalls trieb sich niemand in der Parkgarage herum, was mir gut passte. Ich würde auch so noch genug unfreundlichen Gesichtern begegnen. Evenings Fluch entspannte sich, als ich in Bewegung geriet; wenn ich etwas tat, um die Dinge zu erledigen, brauchte er mich nicht zu verletzen.
Bevor ich ins Auto stieg, holte ich noch einmal Luft, um mich zu beruhigen, dann steckte ich den Schlüssel ins Zündschloss und fuhr in Richtung der Schnellstraße los.
Schattenhügel ist das größte Herzogtum im Gebiet der Bucht und umfasst die Region um den Mount Diablo. Der Berg definiert die Grenze n – kann man den Mount Diablo sehen, stehen die Chancen gut, dass man sich im Herzogtum befindet. Es gehört zu den größten politischen Einheiten im Königreich der Nebel, was sich jedoch dadurch ausgleicht, dass es sich aus mehreren, halb autonomen Grafschaften zusammensetzt und keinerlei politische Ambitionen hegt.
Dafür ist es groß genug, um einige Beispiele für ziemlich spektakuläre Architektur zu beherbergen. Vielleicht ist das der Grund, warum sich der Torquill-Mugel, wie zum Trotz gegen die Erwartungen derer, die ihn besuchen, in einem Park namens Paso Nogal im verschlafenen Vorort Pleasant Hill befindet, etwa dreißig Kilometer außerhalb des Mount Diablo Nationalparks. Die Fahrt dorthin würde weniger als eine Stunde dauern, zumal ich mich in die entgegengesetzte Richtung des Pendlerverkehrs bewegte. Um in den Mugel zu gelangen, würden vielleicht weitere zwanzig Minuten dazukommen. Man hält dort große Stücke auf Sicherheit, was nach dem, was Luna und Rayseline widerfuhr, auch gut verständlich ist.
Ich bog auf den Parkplatz im Paso Nogal, stieg aus dem Wagen und war ausnahmsweise dankbar für die Kälte. Dem Aussehen des Grases nach hatte es geregnet, was die gelangweilten Teenager vertrieben hatte, die andernfalls womöglich ihre Weihnachtsferien damit verbracht hätten, im Park herumzulungern. Ich bedankte
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