October Daye: Winterfluch (German Edition)
umgeben, als vom Rücksitz ein tiefes, grollendes Kichern ertönte und im Innenspiegel eine Gestalt auftauchte.
Es befand sich noch jemand im Auto.
Kapitel 14
M eine Finger verkrampften sich um das Lenkrad, als ich den Körper anspannte und mich zwang, weiter geradeaus zu blicken. Das war einfach großartig. Unbestreitbar toll. Einen Eindringling in meinem Wagen vorzufinden, während ich mich auf einer Brücke befand, umgeben von mehr Wasser, als ich mir auszumalen wagte? Haargenau, was meinem Tag nicht fehlte. Hektisch suchte ich nach Möglichkeiten, fand jedoch keine. Ich konnte nur weiterfahren.
Nach einem Augenblick räusperte ich mich und sagte: »Dir ist aber schon klar, dass wir beide sterben werden, wenn ich hier von der Brücke fahre, oder?«
Ich weiß nicht, was ich als Antwort erwartete, jedenfalls nicht das, was ich bekam: ein tiefes, rollendes Kichern, das fast noch mehr an ein Knurren erinnerte. Gelächter angesichts der Vorstellung eines wässrigen Grabes ist nie ein Zeichen dafür, dass man es mit einer geistig gesunden Person zu tun hat.
Ich schluckte und versuchte es erneut. »Ich muss gestehen, du bist im Vorteil. Ich bin ziemlich sicher, dass du weißt, wer ich bin, sonst wärst du nicht hier. Würde es dir etwas ausmachen, mir zu verraten, warum du in meinem Auto sitzt?«
Die einzige Erwiderung bestand aus einem weiteren Kichern. Ich kämpfte gegen den Drang an, mich umzudrehen, um etwas mehr erkennen zu können. Selbst wenn der Eindringling unbewaffnet war, was ich bezweifelte, sollte man die Kontrolle über das eigene Fahrzeug nie schleifen lassen, wenn man sich auf der Bay Bridge befindet. In gewisser Weise ist es eine Form von Darwinismus: Ist man dämlich genug, die Augen von der Straße abzuwenden, während man eines der größten Gewässer der Welt überquert, ist man auch zu dämlich, um weiterleben zu dürfen. Andererseits entspräche es auch einer Spielart des Darwinismus, wenn mich die Gestalt auf dem Rücksitz umbrächte. Die Lage schien mit jedem verstreichenden Augenblick aussichtsloser zu sein.
»Weißt du, meine Geduld kennt Grenzen«, sagte ich. Die Ruhe entwich aus meiner Stimme. Ich hatte Angst und war wütend. Jeder Versuch, dies zu verhehlen, wäre sinnlos gewesen. »Wenn du mir drohen willst, könntest du dich dann bitte beeilen und es tun, bevor wir einen Unfall bauen? Ich habe diese Rostlaube gerade erst abbezahlt, außerdem habe ich wirklich keine Lust, mich nach einem anderen Auto umzusehen.«
Diesmal ertönte kein Gelächter. Stattdessen schwoll der Schemen im Innenspiegel an, die Ränder wirkten durch einen Sperrbann verschwommen. Das Schweigen vermittelte, dass der Eindringling auf die eine oder andere Weise nicht davon ausging, dass ich in nächster Zeit ein neues Auto kaufen würde.
Er hielt sich hier im Wagen auf. Das war eine Tatsache, die ich nicht ändern konnte, was aber bedeutete, dass ich ruhig bleiben musste. Es ist schon schwierig, sich vernünftig zu verhalten, wenn man wütend ist. Und noch schwieriger ist es, wenn man sich fürchtet, also verweigerte ich mich beidem. Sobald der Mistkerl aus dem Auto wäre, könnte ich rechts ranfahren und einen netten kleinen Nervenzusammenbruch haben. Vorausgesetzt, ich überlebte bis dahin.
Die erste Abfahrt tauchte unmittelbar vor mir auf. Gut. Die Straßen von San Francisco sind nicht unbedingt sicherer als die Bay Bridge, aber zumindest kann man nicht so leicht in den Tod stürzen, wenn man falsch abbiegt. Nicht so leicht zwar, aber unmöglich ist es auch nicht; falls die Welt tatsächlich einen Rand besitzt, verbirgt er sich wahrscheinlich in einer Einbahnstraße irgendwo in San Francisco. Ich verstärkte den Griff um das Lenkrad und sandte meinem Auto eine stumme Entschuldigung. Ich hatte es ernst gemeint, als ich sagte, ich wollte mich nach keinem neuen umsehen. Sicher, es war ein 1974er VW- Käfer mit einem Kilometerstand, der mich glauben ließ, jemand könnte damit nach Hawaii gefahren sein. Trotzdem war es mein Wagen. Ich hatte mich für ihn entschieden, weil ich ihn mochte, und es tat mir aufrichtig leid, dass wir keine Zeit mehr zusammen verbringen würden. Zumindest würde er in Ausübung seiner Pflicht sterben.
Die Ausfahrt kam näher; ich trat auf das Gaspedal und beschleunigte von der Brücke in die Harrison Street. Ein Großteil des Verkehrs blieb hinter uns zurück und steuerte achtbarere, touristentauglichere Gefilde an. Was mir gelegen kam. Ich beobachtete, wie der schemenhafte Kerl im
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