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Odd Thomas 4: Meer der Finsternis

Titel: Odd Thomas 4: Meer der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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flüsterte ich.
    Boos Schwanz schlug gegen den Boden, ohne ein Geräusch zu machen.
    Ich legte mich auf die Seite, streckte mich aus, beugte den linken Arm und stützte den Kopf in die Hand. Mit der rechten Hand kraulte ich meinem Geisterhund den Bauch.
    Hunde wissen, dass wir das Bedürfnis haben, Zuneigung auszudrücken, während sie das Bedürfnis haben, diese Zuneigung zu empfangen. Man könnte sie als die ersten Therapeuten der Weltgeschichte bezeichnen, denn sie üben ihre Kunst schon seit Jahrtausenden aus.
    Nach etwa zwei Minuten beendete Boo unsere Therapiesitzung, indem er sich erhob. Wachsam stellte er die Ohren auf.
    Ich wagte es, den Kopf über den Rand des Holzkastens zu heben. Vorsichtig spähte ich in den Unterbau des Piers hinab, den ich vor kurzem verlassen hatte.
    Zuerst sah ich niemanden. Dann erblickte ich den Fleischberg mit den gelben Augen, der auf dem Längsbalken in der Mitte dahinschritt.

    Vom strudelnden Wasser tief unten wurden leuchtende Muster zurückgeworfen, die durch das Gerüst schweiften wie die Strahlen eines rotierenden Kristalllüsters in einem Ballsaal.
    Eine Tanzpartnerin hatte der Muskelberg zwar nicht, aber er schien sowieso nicht in festlicher Stimmung zu sein.

5
    Mein Verfolger schritt nicht mit Vorsicht und Zurückhaltung über den Balken, wie ich es getan hatte, sondern mit solchem Selbstvertrauen, als hätte seine Mutter als Seiltänzerin und sein Vater beim Wolkenkratzerbau gearbeitet. Die muskulösen Arme ließ er locker an den Seiten hängen. In einer Hand hielt er eine Pistole, in der anderen eine Taschenlampe.
    Er blieb stehen, knipste die Taschenlampe an und ließ ihren Strahl über die waagrechten Balken und die Stützpfosten gleiten.
    Ich duckte mich auf meinem Steg wieder hinter den Holzkasten. Einen Moment später sah ich den Lichtstrahl an mir vorbeiwandern, wieder zurück und dann irgendwo anders hin.
    Boo war an mir vorbeigetrottet und hatte den Kopf durch eine Lücke im Geländer gesteckt, um den Mann mit der Lampe zu beobachten, doch der konnte ihn natürlich nicht wahrnehmen.
    Als mein Verfolger in dem Labyrinth aus Pfosten, Balken und Streben verschwunden war, erhob auch ich mich und ging weiter auf den Strand zu.
    Vor mir dahintrottend, entmaterialisierte Boo sich vollständig. Im einen Augenblick sah er noch ganz massiv aus, im nächsten wurde er durchsichtig, verblasste und verschwand.

    Ich hatte keine Ahnung, wo er hinging, wenn er nicht bei mir war. Vielleicht erforschte er gern unbekannte Reviere, wie es auch jeder lebendige Hund tat, und streifte durch ein Viertel des Ortes, das er noch nie aufgesucht hatte.
    Boo spukte nicht so in dieser Welt, wie die hier verweilenden menschlichen Toten es taten. Die waren entweder verzweifelt, verängstigt, zornig oder verbittert. Trotzig sperrten sie sich dagegen, dem Ruf des Jenseits zu folgen, und machten stattdessen diese Welt zu ihrem Fegefeuer.
    Offenbar stellte der freie Wille, der ihnen in diesem Leben geschenkt worden war, also ein Erbe dar, das sie ins nächste Leben mitnahmen. Ein beruhigender Gedanke.
    Boo wiederum kam mir eher wie ein Schutzgeist vor, denn er war immer guter Laune und bereit, mir zu Diensten zu sein. Das hieß, er befand sich nicht auf der Erde, weil er nach seinem Tod dageblieben war, sondern weil man ihn zurückgeschickt hatte. Vielleicht hatte er sogar die Fähigkeit und die Erlaubnis, nach Belieben zwischen den Welten hin und her zu wandern.
    Ich fand es tröstlich, mir vorzustellen, dass er sich im Himmel befand, wenn ich ihn gerade nicht dringend brauchte. Wenn dem so war, dann spielte er wahrscheinlich da oben mit allen anderen Hunden, die es für immer gut hatten.
    Offenbar war Boo nun wieder einmal der Meinung, dass ich in der unmittelbaren Zukunft ohne ihn weiterwursteln konnte.
    Allein ging ich den Steg entlang, bis ich genau im passenden Moment nach unten sah und das Schlauchboot entdeckte, das an einem Betonpfeiler vertäut war. Es schaukelte sanft auf den Wellen. Hier war der Fleischberg also ausgestiegen, um zu Fuß nach mir zu suchen.

    Bis zum Ufer hatte ich noch mindestens ein Viertel des Piers vor mir. Ich hielt inne, um darüber nachzugrübeln.
    Wie sich herausstellte, hatte Boo Recht mit der Annahme gehabt, dass ich ohne seinen Rat die richtigen Schlüsse ziehen konnte. Konkret: Der Fleischberg hatte seine Suche nach mir nicht am Ufer, sondern hier begonnen, weil er korrekterweise angenommen hatte, dass ich bestimmt noch nicht so weit gekommen

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