Odd Thomas 4: Meer der Finsternis
angenehmer, bernsteinfarbener Schein. Als wir näher kamen, sah ich, dass das freundliche Licht an den geschliffenen Kanten der Fensterscheiben glitzerte und funkelte, als wohnte da jemand mit Zauberkraft.
Während wir die Straße entlanggegangen waren, hatte ich Annamaria auf Blossom Rosedale vorbereitet, bei der sie eine
oder zwei Stunden bleiben sollte. Vor fünfundvierzig Jahren, als Blossom gerade einmal sechs gewesen war, hatte ihr betrunkener, tobender Vater sie mit dem Kopf voraus in ein Fass fallen lassen, in dem er gerade Müll verbrannte, besprengt mit ein wenig Petroleum.
Zum Glück trug sie eine eng anliegende Brille, was sie vor dem Erblinden bewahrte und ihre Augenlider rettete. Obwohl sie noch so jung war, besaß sie die Geistesgegenwart, den Atem anzuhalten, was ihre Lunge rettete. Sie schaffte es sogar, das Fass zum Umkippen zu bringen und hastig herauszukriechen. Da stand sie allerdings bereits in Flammen.
Im Operationssaal hatte man ein Ohr gerettet, die Nase wiederaufgebaut - allerdings nicht so weit, dass sie einer normalen Nase ähnelte - und die Lippen rekonstruiert. Haare wuchsen ihr seither nicht mehr. Ihr Gesicht blieb für immer mit Wulstnarben übersät, die zu schlimm waren, um mit irgendeiner chirurgischen Technik beseitigt zu werden.
Ich hatte Blossom erst vor einer Woche kennengelernt, als ich durch die Stadt spaziert war. Sie hatte ihr Auto wegen einer Reifenpanne an den Straßenrand gefahren. Obwohl sie steif und fest behauptete, sie könne das Rad selbst wechseln, tat ich das, weil sie nur einen Meter fünfzig groß war, an ihrer verbrannten linken Hand nur Daumen und Zeigefinger hatte und keinen Anorak trug, obwohl es sehr nach Regen aussah.
Als das Rad gewechselt war, hatte sie darauf bestanden, dass ich auf eine Tasse Kaffee und ein Stück ihres unvergleichlichen Pekannusskuchens mit ins Haus kam. Sie nannte es die Höhle des glücklichen Monsters, und wenn auch das Häuschen tatsächlich etwas Höhlenhaftes an sich hatte und sie darin sehr glücklich lebte, war sie genauso wenig ein Monster wie Spielbergs E.T., dem sie ein bisschen ähnelte.
In den seither vergangenen Tagen hatte ich sie abends noch einmal besucht, um Rommé zu spielen und mich mit ihr zu unterhalten. Obwohl sie sämtliche drei Spiele gewonnen und für jeweils zehn Punkte einen Cent einkassiert hatte, waren wir auf dem besten Weg, gute Freunde zu werden. Von der übernatürlichen Seite meines Lebens wusste sie allerdings nichts.
Auf mein Klopfen hin kam Blossom gleich zur Tür. »Ach«, rief sie, »herein, herein! Gott hat mir endlich jemanden gesandt, den ich beim Kartenspiel so richtig ausnehmen kann. Da soll man noch sagen, beten hilft nichts. Bald kann ich mir einen Mercedes leisten.«
»Das letzte Mal hast du gerade mal fünfzig Cent gewonnen. Das heißt, du müsstest mich tausend Jahre lang täglich beim Rommé schlagen.«
»Spaß machen würde das schon!« Blossom schloss die Tür und lächelte Annamaria an. »Du erinnerst mich an meine Cousine Melvina - die von den beiden Melvinas, die verheiratet ist, nicht die alte Jungfer. Allerdings ist Melvina ziemlich meschugge, und das bist du vermutlich nicht.«
Ich stellte die beiden einander vor, während Blossom Annamaria aus der Jacke half und diese an die Wand hängte.
»Meine Cousine Melvina«, fuhr Blossom fort, »hat ein Problem mit einem Zeitreisenden. Was meinst du, sind Zeitreisen eigentlich möglich?«
»Vor vierundzwanzig Stunden«, erwiderte Annamaria, »war ich im Gestern.«
»Und jetzt bist du hier im Heute. Ich muss meiner Cousine unbedingt von dir erzählen.«
Blossom nahm Annamaria beim Arm und führte sie nach hinten.
»Melvina behauptet, ein Zeitreisender aus dem Jahr zehntausend
nach Christus sucht ihre Küche auf, während sie schläft.«
Während ich den beiden folgte, fragte Annamaria: »Wieso ihre Küche?«
»Sie vermutet, in der fernen Zukunft gibt es keinen Kuchen mehr.«
Das Häuschen wurde magisch von bunten Tischlampen und Wandleuchten im Tiffany-Stil erhellt, deren Schirme Blossom selbst gebastelt hatte.
»Gibt es in Melvinas Küche denn eine Menge Kuchen?«
»Was Kuchen angeht, ist sie maßlos.«
An der Wohnzimmerwand hing ein wunderschön farbiger, fein genähter Quilt. Blossoms Quilts wurden in Kunstgalerien verkauft; sogar einige Museen hatten welche erworben.
»Vielleicht bekommt ihr Mann mitten in der Nacht regelmäßig Hunger«, meinte Annamaria.
»Nein. Melvina wohnt in Florida, und Norman, ihr
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