Odd Thomas 4: Meer der Finsternis
was deine Organisation weiß oder vermutet, wenn du uns sagst, wieso man dich hierhergeschickt hat, und wenn du deinen Leuten falsche Informationen lieferst - dann kannst auch du ein sehr reicher Mann werden, der unter einem Namen, den nie jemand
herausfinden wird, in einem Land mit einem äußerst angenehmen Klima lebt.«
»Wie reich?«
»Ich weiß nicht, wie groß dieses Notfallbudget ist. Außerdem müsste ich mit einem Vertreter unserer Geldgeber sprechen, aber ich nehme an, die schätzen dich als so wertvoll für das Unternehmen ein, dass sie fünfundzwanzig Millionen für dich aufbringen würden.«
»Was ist mit meiner Kollegin? Mit Annamaria?«
»Bist du etwa in sie verknallt?«
»Nein. Wir arbeiten bloß zusammen.«
»Dann sagst du uns, wo sie sich aufhält, und wir bringen sie noch heute Nacht um. Die Leiche drehen wir durch den Fleischwolf, entsorgen das Zeug im Meer, und damit ist das erledigt.«
»Einverstanden.«
»Das ging aber schnell.«
»Tja«, sagte ich, »eine Alternative dazu fällt mir nicht ein, denn von meinem Anteil gebe ich dieser Frau bestimmt nichts ab.«
»Kein Grund, weshalb du das tun solltest.«
»Im richtigen Teil der Welt«, sagte ich, »sind fünfundzwanzig Millionen so viel wert wie hundert Millionen hier.«
»Da kann man wie ein König leben«, meinte der Chief und schob sich das letzte Stück Schokoriegel in den Mund. »Also, mein neureicher Freund, wie heißt du eigentlich?«
»Harry Lime«, sagte ich.
»Von jetzt an sagst du aber du zu mir!«, stellte der Chief fest und streckte mir die Hand entgegen. Ich schüttelte sie über den Tisch hinweg.
Diesmal wurde ich nicht in meinen Traum zurückgeworfen.
Offenbar geschah das nur beim ersten Kontakt mit einer der Personen, die damit zu tun hatten.
»Jetzt muss ich mit dem Geldverwalter sprechen, damit der den Deal absegnet«, sagte der Chief. »In fünf Minuten bin ich wieder da. Eines wird er allerdings wissen wollen.«
»Kein Problem. Schließlich sind wir Partner.«
»Wie zum Teufel hast du das getan?«
»Was denn?«
»Wie hast du den Traum an mich und Rolf übertragen? Den Traum, die Vision oder wie man es sonst nennen soll.«
»Genau weiß ich das auch nicht. Ihr habt es selber ausgelöst, glaube ich - weil ihr die Leute seid, die diesen Traum wahr werden lassen.«
Mit großen Augen saß nun ein dritter Hoss Shackett vor mir, bei dem es sich weder um den brutalen Sadisten noch um den liebenswürdigen Politiker handelte. Dieser Chief besaß die Fähigkeit zu staunen, die weder der Babykiller noch der Babyküsser mit ihm teilten.
Dieser Chief wäre womöglich sogar in der Lage zu einer selbstlosen Handlung oder einer nicht auf Gewinn bedachten Freundlichkeit gewesen. Wer staunen kann, der akzeptiert stillschweigend, dass die Welt Geheimnisse birgt, und damit gesteht er ein, dass es eine Wahrheit geben könnte. Die anderen beiden Versionen von Hoss Shackett ließen diesen dritten Chief offenbar nur selten an die Oberfläche kommen. Ich war überrascht, dass sie ihn nicht schon längst endgültig ertränkt hatten.
»Was bist du überhaupt?«, fragte er. »So was wie ein Hellseher? Ich hätte nie geglaubt, dass es das gibt, aber was du mir da vorher in den Kopf gesetzt hast, das war verflucht echt.«
Da wir in einer Kultur lebten, in der Verschwörungstheorien
von mehr Leuten akzeptiert wurden als die simple, offenkundige Wahrheit, versuchte ich es mit einer Erklärung, die darauf einging: »Wissenschaftler der Regierung haben eine Droge entwickelt, mit der die Fähigkeit zum Hellsehen gefördert wird.«
»Ich glaub, mich tritt ein Pferd!«
»Es funktioniert nicht bei jedem«, sagte ich. »Man muss eine bestimmte Kombination von Genen haben. Deshalb gibt es nicht viele von uns.«
»Du siehst die Zukunft?«
»Nicht richtig, jedenfalls nicht direkt. Was ich sehe, zeigt sich in Träumen, und es ist nie vollständig. Nur Stücke eines Puzzles. Ich muss Detektivarbeit leisten, um herauszubekommen, was fehlt. Na, mit so was kennst du dich ja aus.«
»Also hast du in deinem Traum Magic Beach gesehen … und die Atombomben.«
Ich versuchte mein Bestes, nicht auf das letzte Wort zu reagieren. »Ja«, sagte ich einfach, als hätte ich das schon gewusst.
»Aber mich und Rolf Utgard hast du im Traum nicht gesehen, oder?«
»Nein.«
»Was du mir in den Kopf gesetzt hast, das blutrote Meer und diesen Himmel - das hat so ausgesehen, als sollten die Bomben direkt hier am Strand explodieren. Aber so ist es nicht
Weitere Kostenlose Bücher