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Odd Thomas 4: Meer der Finsternis

Titel: Odd Thomas 4: Meer der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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dich täglich gefreut hast, einfach für selbstverständlich gehalten und dir nicht erlaubt, darüber nachzudenken, wie tiefgründig es ist. Wenn es dann jedoch vorbei ist und du allein bist, dann siehst du allmählich, dass es nicht nur darum ging, gemeinsam ins Kino und zum Essen zu gehen, gemeinsam in den Sonnenuntergang zu schauen, den Boden zu schrubben oder das Geschirr abzuspülen, oder sich Sorgen wegen einer hohen Stromrechnung zu machen. Es war alles, es war das Warum des Lebens, jedes Ereignis und jeder kostbare Moment. Die Antwort auf die Frage nach dem Geheimnis der Existenz ist die Liebe, die ihr manchmal so unvollkommen miteinander geteilt habt, und wenn der Verlust dir die tiefere Schönheit und Kostbarkeit dieser Zeit bewusstmacht, dann liegst du lange auf den Knien, nicht weil der Verlust so schwer war, sondern aus Dankbarkeit für alles, was vorher gewesen ist. Der Schmerz bleibt immer, aber die Leere ist eines Tages nicht mehr da, denn wenn man in ihr versinkt und Trost darin sucht, dann missachtet man das, was einem das Leben geschenkt hat.«
    Nach einer kleinen Weile fächelte Birdie sich wieder das Gesicht und schloss dabei die Augen.
    Ich blickte durch die Windschutzscheibe in den öden Nebel. So hatte es vielleicht ausgesehen in der Zeit vor Anbeginn der Zeit, als es noch keine Menschen oder Tiere gab und als nur Finsternis auf der Tiefe herrschte.
    »Was du gesagt hast«, begann Birdie, »alles … das gilt
auch für mich. Eines Tages hat meine Leere sich gefüllt. Da ist es zum ersten Mal aufgetaucht, dieses Stechen. An einem Dienstagnachmittag im Mai war das. Kein körperlicher Schmerz, bloß ein Gefühl, ein Einfall: Wie wär’s, wenn ich mich ins Auto setze und noch einmal eine der alten Routen abfahre, auf denen wir den Müll eingesammelt haben. Dabei bin ich bei Nancy Coleman gelandet, die früher für uns gearbeitet hat. Im Jahr davor hatte ihr Mann sie verlassen, und vier Stunden bevor ich aufgetaucht bin, hatte man ihr mitgeteilt, dass sie Krebs hat. Sie war ganz allein und hatte große Angst. In diesem Jahr habe ich sie dann oft zum Arzt gefahren und zur Chemotherapie; ich war dabei, als sie sich eine Perücke gekauft hat, weil ihr die Haare ausfielen. Wir haben unheimlich viel Zeit zusammen verbracht, und das hat mehr Spaß gemacht, als wir am Anfang je gedacht hätten.«
    Sie klappte den Fächer zusammen und legte ihn in ihre Handtasche zurück.
    »Als ich ein andermal diesen Drang gespürt habe, durch die Gegend zu fahren, kam ich zum Haus von Bodi Booker. Ein Versicherungsmakler und lebenslanger Junggeselle. Er sagt, er hat zu tun, aber ich überrede ihn, mich reinzulassen. Er ist gerade dabei, sich eine heiße Schokolade zu machen. Wir setzen uns hin und sprechen über meinen Fred. Mit dem war er im Bowlingteam, und außerdem ist Fred mit ihm fischen gegangen wie mit dem Sohn, den wir nie bekommen konnten. Nach einer halben Stunde gesteht Bodi mir, er wollte mit der heißen Schokolade eine ganze Schachtel Pillen runterspülen, um sich umzubringen. Ein Jahr später hatte Nancy Coleman keinen Krebs mehr, sie hatte Bodi kennengelernt und ihn geheiratet.«
    Birdie Hopkins nahm ihre weißen Handschuhe und streifte sie mühsam über.

    »Und was war mit Swithin, den seine Freundin ausgenommen hat?«, fragte ich.
    »Swithin Murdoch. Ein guter Kerl, der sich wegen einer Frau namens Leanna zum Narren gemacht hat. Sie hat seine ganzen Konten geplündert und sich dann aus dem Staub gemacht. Um ein Haar hätte Swithin sein Haus und sein Geschäft verloren, also alles, was er hatte. Da habe ich ihm Geld geliehen, das er inzwischen längst zurückgezahlt hat. Also, was ist mit dir los, Harry Lime?«
    »Ich glaube, mir wäre da an diesem Gully etwas Schlimmes zugestoßen, wenn Sie nicht aufgetaucht wären.«
    »Etwas Schlimmes? Was denn zum Beispiel?«
    Was sie seit dem Tod ihres Mannes erlebt hatte, das hatte ihr gezeigt, dass sich hinter dem scheinbaren Chaos des Lebens eine geheimnisvolle Ordnung verbarg. Deshalb hätte ich sie wohl in meine eigenen Geheimnisse einweihen können, aber nicht auf der kurzen Fahrt zum Hafen.
    »Das weiß ich auch nicht, Ma’am«, antwortete ich deshalb. »Es ist nur so ein Gefühl.«
    Sie schaltete die Scheinwerfer ein und legte den Schalthebel um.
    »Weißt du es ehrlich nicht?«
    Was immer mir an jenem Gullydeckel gedroht hatte, es stand in Zusammenhang mit dem merkwürdigen Verhalten der Kojoten und mit der Schaukelbank, die sich von selbst bewegt

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