Oder sie stirbt
wenn er sie genommen hatte, konnte ich unmöglich innerhalb der nächsten fünfunddreißig Minuten irgendetwas mit ihm besprechen und zu Keith fahren. Also warf ich den Hörer wieder auf die Gabel, verfehlte sie aber und schlug mir schmerzhaft die Knöchel wieder auf.
Ging es ihr gut? Hatten sie ihr weh getan? Jetzt schon?
Ich raufte mir die Haare und wischte mir die Tränen von den Wangen.
Eine CD ! Ich konnte ihnen doch einfach einen von meinen unbenutzten Rohlingen mitbringen. Ich würde behaupten, dass sich der Inhalt bei einem Kopierversuch selbst gelöscht hatte, genau wie bei den DVD s. Ein mangelhafter Plan, aber immerhin etwas, und vielleicht konnte ich mir damit ein bisschen Zeit verschaffen, um herauszufinden, wo Ariana war, und mir dann einen neuen Plan ausdenken. Ich rannte nach oben, schnappte mir einen der Rohlinge und steckte ihn schnell in Aris Laptop, um sicherzugehen, dass er tatsächlich leer war.
Dreiunddreißig Minuten.
Ich raste die Treppe hinunter und war schon auf halbem Weg zum Gartenzaun. Dann blieb ich jäh stehen. Mein T-Shirt war jetzt schon durchgeschwitzt. Nach kurzem Zögern rannte ich in die Küche und schnappte mir das Messer mit der längsten Klinge.
Während ich den Wagen durch die Haarnadelkurve manövrierte, umklammerte ich fest das Lenkrad und bemühte mich, ja nicht weiter auf meinem Sitz zurückzurutschen. Wenn sich das Messer bewegte, das ich mir unter den Oberschenkel geklemmt hatte, würde es mir das Bein aufschlitzen. Ich hatte die Klinge gut festgeklemmt, und der Griff ragte so hervor, dass ich es jederzeit leicht herausziehen konnte. Beißender Gestank von verbranntem Gummi drang durch die Belüftung in den Innenraum. Ich widerstand dem Drang, noch mehr aufs Gaspedal zu drücken – in Anbetracht der knappen Zeit durfte ich es nicht riskieren, dass die Polizei mich am Ende noch rauswinkte.
Ich schoss die schmale Straße entlang. Meine Hände am Lenkrad waren glitschig vor Schweiß, und mein Herz pumpte mir so viel Angst und Adrenalin durch die Adern, dass es mir den Atem nahm. Ich blickte auf die Uhr, blickte auf die Straße, blickte wieder auf die Uhr. Als ich nur noch wenige Blocks entfernt war, fuhr ich an den Straßenrand und brachte den Wagen mit quietschenden Reifen zum Stehen. Gerade noch rechtzeitig riss ich die Tür auf. Während ich mich in den Rinnstein erbrach, beobachtete mich ein Gärtner hinter seinem Rasenmäher mit undurchdringlicher Miene.
Als ich fertig war, ließ ich mich wieder in den Sitz fallen, wischte mir den Mund ab und fuhr etwas langsamer die steile Steigung hoch. Wie angegeben, bog ich in die Anliegerstraße ein, und innerhalb weniger Sekunden kam die Steinmauer in Sicht, dann das schmiedeeiserne Gittertor. Ich sprang aus dem Wagen und gab den Türcode ein. Ruckelnd öffneten sich die Torflügel. Die asphaltierte Auffahrt wurde von Jacaranda-Bäumen gesäumt und führte direkt ans hintere Ende des Grundstücks. Schließlich kam das Gästehaus in Sicht. Mit seinen Stuckwänden, dem flachen Ziegeldach und der leicht erhöhten Veranda war es größer als die meisten anderen Häuser in dieser Straße.
Ich blieb direkt am Fuß der Verandatreppe stehen, neben einem Topf mit Kakteen, und versuchte, wieder ruhig durchzuatmen. Nirgendwo war ein Lebenszeichen auszumachen. Ein gutes Stück vom Gästehaus entfernt konnte man das Hauptgebäude gerade noch durch das dichte Geäst erkennen, aber auch dort war alles dunkel und still. Die Stufen neben meinem Autofenster waren so steil, dass ich die Veranda nicht einsehen konnte. Im Grunde konnte ich fast gar nichts sehen, bis auf die Stufen. Wahrscheinlich war das auch so gedacht.
Ich wartete. Und lauschte.
Schließlich hörte ich, wie sich oben knarrend eine Tür öffnete. Ein Schritt. Noch einer. Dann erschien ein Männerstiefel auf der obersten Treppenstufe. Der andere Stiefel folgte. Knie wurden sichtbar, dann Oberschenkel, schließlich ein Oberkörper. Der Mann trug abgewetzte Jeans, einen unauffälligen schwarzen Gürtel, vielleicht ein graues T-Shirt.
Ich ließ meine Hand zum Griff des Fleischmessers wandern und umklammerte ihn so fest, dass mir die Handfläche weh tat. In meinem Mund spürte ich etwas Warmes – ich musste mir in die Wange gebissen haben.
Der Mann blieb an der untersten Stufe stehen, höchstens eine Armlänge vom Seitenfenster meines Wagens entfernt. Die Linie des Autodachs schnitt ihn genau in der Mitte ab. Ich wollte mich schon ducken, um sein Gesicht erkennen zu
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