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Odessa Star: Roman (German Edition)

Odessa Star: Roman (German Edition)

Titel: Odessa Star: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herman Koch
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Studio gefahren. Unterwegs hatte ich die Sonnenbrille aufgehabt, die er mir damals bei der wilden Verfolgung den Nordseekanal entlang geschenkt hatte. Wir standen vor der Ampel am Middenweg, als er mich zweimal von der Seite ansah.
    »He, das ist meine Sonnenbrille! Die suche ich schon seit God knows wie lange. Wo hast du die gefunden?«
    Bevor ich ihm sagen konnte, dass er sie mir selber geschenkt hatte, als wir uns zwei Verkehrssünder vorknöpfen wollten, hatte er sie mir schon von der Nase gerissen und sich aufgesetzt. »Wo du sie auch gefunden hast, tausend Dank, Junge.« Mit einer Hand steuerte er auf den Beschleunigungsstreifen.
    Worüber Richard H. sich jetzt so aufregte, wusste ich zwar nicht, aber alles deutete darauf hin, dass es mit »Herrn Biervoort« zu tun hatte.
    Meine Gedanken schweiften zurück zu dem Abend vor zehn Tagen, an dem Max mich von zu Hause abgeholt hatte. Ohne viel zu reden, waren wir nach Amsterdam West gefahren.
    »Du klingelst«, sagte er, »und zehn Minuten später komme ich sozusagen zufällig vorbei.«
    Ich hatte ein paarmal auf den Klingelknopf neben dem Namensschild von Jan, Yvonne, Wilco + Tamar gedrückt, aber es dauerte ziemlich lange, bis aufgemacht wurde. Oben an der Treppe standen Wilco und Tamar im Schlafanzug.
    »Mama ist arbeiten, und Papa ist Bier und Tabak holen«, erklärte mir Tamar, als ich keuchend oben stand.
    »Hat er euch einfach allein gelassen?«
    In den vergangenen Tagen hatte ich ab und zu am Sinn dieses Unternehmens gezweifelt, aber der Anblick der beiden Kinder im Schlafanzug, deren Vater seine Verantwortung sträflich vernachlässigte, bestärkte mich in der Überzeugung, dass wir uns richtig entschieden hatten. Und als ich auf dem Esstisch im Wohnzimmer ein halb fertiges Puzzle liegen sah, waren, was mich betraf, die letzten Zweifel definitiv ausgeräumt.
    »Soll ich euch im Bett noch was vorlesen? Oder wollt ihr lieber fernsehen?«
    »Fernsehen!«, riefen beide im Chor.
    Und so kam es, dass wir uns einen Dokumentarfilm über afrikanische Leoparden auf dem National Geographic Channel ansahen, als es klingelte. »Ich mach schon auf«, sagte ich.
    Mit schweren Schritten kam Max die Treppe hinauf. Ich erklärte ihm kurz die Situation. Mein Blick fiel auf den Metallkoffer in seiner Hand. »In einem früheren Leben bin ich Klempner gewesen«, sagte Max grinsend. »Bleib du mal vor der Glotze sitzen, ich schaue mir den Boiler in der Küche an. Und wenn du sie ins Bett bringst, die Gasöfen im Wohnzimmer.«
    Im Fernsehen machte ein Leopard gerade Jagd auf ein Gazellenjunges. Ich setzte mich wieder zwischen die beiden Kinder, nahm jeweils eine Hand und legte sie mir auf die Knie; aus der Küche drangen Geräusche herüber.
    »Ist jemand in der Küche?«, fragte Tamar.
    »Der Klempner. Er kontrolliert den Boiler und die Öfen.«
    »So spät?«, fragte Wilco.
    Der Film war zu Ende, und die Kinder gingen ins Bett. Ich blieb noch eine Weile auf einem Schemel zwischen ihren Betten sitzen. Auf den Lampenschirmen über ihren Köpfen waren Figuren aus Pu der Bär beziehungsweise aus Pokémon abgebildet.
    »Passiert das öfter, dass Papa euch abends allein lässt?«
    »Manchmal«, sagte Wilco nach einer kleinen Pause.
    Ich hörte Max in der Küche fluchen.
    »Wir warten immer auf Mama«, sagte Tamar.

    »Auf Mama?«
    »Bis Mama vom Theater nach Hause kommt. Mama gibt uns immer noch einen Gutenachtkuss.«
    Ich fühlte Brennen hinter den Augen.
    »Aber das ist doch bestimmt oft sehr spät.«
    »Das macht nichts.«
    »Aber seid ihr dann morgens nicht ganz müde?«
    »Doch«, sagte Tamar. »Aber das macht nichts.«
    »Mama ist schrecklich lieb«, sagte Wilco.
    Und dann hörte ich, wie unten die Haustür geöffnet wurde und jemand langsam die Treppe heraufkam.
    »Küsschen«, sagte ich. Wilco schlang die Arme so fest um mich, als wollte er mich nie mehr loslassen, und drückte mir einen Kuss auf die Wange.
    »Schon gut«, sagte ich und löste mich aus seiner Umarmung. »Schlaf mal gut, Liebling.«
    Tamar legte ihre Brille auf den Nachttisch und küsste mich auf beide Wangen; auch sie schlang ihre Arme um meinen Hals, aber nur leicht, als wollte sie mir zu verstehen geben, dass ich sie jeden Augenblick loslassen könnte. »Du bist auch lieb«, sagte sie. Sie ließ den Kopf auf das Kissen fallen und schloss die Augen.
    Mein Schwager erschrak ganz schön, als er mich in der Diele seiner eigenen Wohnung stehen sah. Ich erklärte ihm, Wilco und Tamar hätten mich reingelassen.

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