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Odessa Star: Roman (German Edition)

Odessa Star: Roman (German Edition)

Titel: Odessa Star: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herman Koch
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Mein Blick fiel auf die durchsichtige Plastiktüte mit dem Aufdruck einer Imbissstube, in der sich mehrere Bierflaschen befanden.
    »Und welchem Umstand verdanke ich diesen überraschenden Besuch?«, fragte mein Schwager, offensichtlich erleichtert. Er zog seine Turnschuhe aus und schlüpfte in blaue Latschen.
    In dem Moment klingelte es. Mein Schwager sah mich an, als wäre ich es, der noch jemanden erwartete, und als ich mit den Achseln zuckte, drückte er auf den Türöffner.

    »Juchuh!«, rief eine mir nur allzu bekannte Stimme. »Wir sind es nur!«
    Mein Schwager verdrehte die Augen und seufzte. »Ein Unglück kommt selten allein.«
    Danach ging alles ganz schnell. Erst kamen meine Schwiegereltern keuchend die Treppe herauf; meine Schwiegermutter trug eine flache Schachtel mit verschiedenen Pflanzen in Plastiktöpfen. »Ich hatte Yvonne versprochen, die Pflanzen für euren Balkon noch diese Woche vorbeizubringen«, sagte sie, während sie ihrem Sohn die Wange hinhielt.
    Dann musterte sie mich. »Und was machst du hier?«, fragte sie nicht einmal unfreundlich. Mein Schwiegervater wedelte mit der Hand, er müsse erst mal wieder zu Atem kommen, bevor er zu einer Begrüßung in der Lage sei.
    In der Küche war es die ganze Zeit still gewesen, aber gerade als ich meiner Schwiegermutter antworten wollte, erschien Max. Mit seinem schwarzen Rollkragenpullover und seiner schwarzen Hose sah er nicht im Entferntesten aus wie ein Klempner.
    »Ich war … Wir waren in der Gegend«, sagte ich.
     
    »Ist ein Rollator A eine Teigrolle, B ein Deodorant, C eine Gehhilfe oder D ein Fließband.« Ich sagte es in einem Ton, als hätte ich jegliches Interesse an dem Ausgang von Wer wird Millionär? verloren. Vielleicht war das auch so.
    »Sie schwanken zwischen Deodorant und Gehhilfe«, kam Erik Mencken mir zu Hilfe.
    Weil ich stumm blieb, richtete sich der Moderator an den Telefonjoker. »Jetzt sind Sie dran, Herr Biervoort! Ist es ein Deodorant? Oder doch eher eine Gehhilfe? Sie haben noch fünfzehn Sekunden.«
    »Na hör mal, Fred«, sagte Max. »Alte Frauen brauchen kein Deodorant mehr. Alte Frauen bekommen von der Stadt eine Parterrewohnung zugewiesen. Wenn sie sich dann einmalauf die Straße begeben, bewegen sie sich mit einem Rollator fort oder normal ausgedrückt: mit einer Gehhilfe.«
    Er gab sich nicht die geringste Mühe mehr, einen alten Mann zu spielen, weder in seiner Stimme noch in seiner Wortwahl. Auch Erik Mencken schien sich Sorgen zu machen. »Sie raten also zu der Gehhilfe, Herr Biervoort?«
    »Ich rate niemandem zu irgendetwas. Und schon gar nicht zu einer Gehhilfe.«
    Mencken wandte sich an mich. »Fred, Sie müssen sich entscheiden. Wie lautet Ihre Antwort?«
    Ich ließ erst einige Zeit verstreichen, bevor ich sagte: »Herr Biervoort, sind Sie noch da?«
    »Aber ja.«
    »Kann ich Sie etwas fragen?«
    »Natürlich, Fred. Schieß los.«
    »Hatten Sie früher einen schwarzen Kater?«
    »Ja …«
    »Lebt er noch?«
    Es trat eine Stille ein. Dann sagte Max: »Ja und nein.«
    »Ich frage das, weil Sie mit Ihrem Kater immer ein Spiel gespielt haben. Erinnern Sie sich noch?«
    »Selbstverständlich«, antwortete Max, der jetzt auf einmal wieder in die Rolle des Herrn Biervoort geschlüpft war.
    »Ihr Kater sprang Sie immer an, wenn Sie den Kopf zur Tür hereinsteckten. Sie mussten sich dann ganz schnell ducken.«
    Mencken war ziemlich verwirrt. Die fünfzig Sekunden waren schon längst vorbei.
    »Das stimmt.«
    »Ich weiß die Antwort«, sagte ich zu Erik Mencken.
    »Sie haben sich für Antwort C, die Gehhilfe, entschieden«, sagte der Moderator sichtlich erleichtert.
    »Ich habe das vollste Vertrauen zu meinem früheren Französischlehrer«, sagte ich. »Dennoch meine ich, mich indiesem speziellen Fall ganz auf meine Intuition verlassen zu müssen.«
    Erik Mencken machte jetzt gegen seinen Willen ein Gesicht wie damals in der Sendung, in der er für mehr Rollstühle für an Muskelschwund leidende Kinder plädiert hatte.
    »Deshalb entscheide ich mich für Antwort B, das Deodorant.«
    Das andere Ende der Leitung war tot.
    Mencken starrte mich an und schnappte ein paarmal nach Luft.
    »Aber Ihr ehemaliger Lehrer war sich ziemlich sicher …«
    »Fuck meine ehemaligen Lehrer!«, sagte ich etwas schärfer als beabsichtigt. »Ich meine, in diesem Fall vertraue ich mehr mir selbst. Bei allem Respekt, Herr Biervoort ist doch ein alter Mann.«
    Und dann fing Erik Mencken rückhaltlos zu grinsen an, so rückhaltlos, dass

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