Odessa Star: Roman (German Edition)
den Film zurückgespult, auf dem zu sehen war, wie Erik Mencken auf meinem eigenen Balkon von hinten seine Arme um Christine legte; das Voice-over zu den Bildern war konstant die Stimme von Frau de Bilde gewesen: »Und sie dreht sich zu ihm um und fängt an, ihn zu küssen.«
Aber seit Kurzem kannte ich die Wahrheit, die, wie so oft, viel deprimierender war als die ausufernde Fantasie.
Nachdem ich den Jeep Cherokee beim Autohändler in Zuidoost abgeholt hatte und nachdem ich ein paarmal mit »Stuck in the Middle with You« bei voller Lautstärke mit hoher Geschwindigkeit über die vierspurige Autobahn unter dem Ajax-Stadion gebraust war, war mir plötzlich eingefallen, dass Peter Bruggink ein paar Tage zuvor wieder in die nahe gelegene Uniklinik aufgenommen worden war. Und auf dem Parkplatz des Krankenhauses hatte ich eine Frau mit kurz geschnittenem Haar und einer Sonnenbrille auf der Nase in einen hässlichen grünen Fiat steigen sehen. Es hatte eine Weile gedauert, bis ich geschaltet hatte: Es war meine Schwägerin.
Peter lag wieder an den Schläuchen und Monitoren, aberer begrüßte mich fröhlich mit erhobener Hand; auf dem Nachttisch stand ein frischer Blumenstrauß.
»Seit etwas mehr als einem Jahr ungefähr«, antwortete er auf meine direkte Frage; seine zeitungspapierfarbene Haut färbte sich zartrosa. »Ja, an deinem Geburtstag damals. Erst haben wir uns ganz normal unterhalten, und im nächsten Moment passierte es auf einmal. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel, Junge …«
»Und dann bist du ihr auf den Balkon gefolgt, und da fing alles an.«
»Ja, genau … Aber, warte mal, woher weißt du das? Hast du uns nachspioniert? Du Saukerl!«
Ich zwinkerte Peter zu. »Nicht wirklich. Ich habe mich diskret zurückgezogen, als ich Yvonne mit den Bierflaschen verschwinden sah. Aber als ihr nach einer Viertelstunde noch nicht zurück wart …«
Und dann erkundigte ich mich, wieder möglichst diskret, nach der Zukunftsperspektive, sowohl was Peters Lebenserwartung betraf als auch seine Pläne mit meiner Schwägerin.
»Sie will den Kerl auf die Dauer schon verlassen. Aber sie zweifelt noch, wegen der Kinder. Und was mich betrifft, ich denke nicht weiter als bis zum morgigen Tag. Es hört sich vielleicht komisch an, aber zuerst das mit Yvonne und dann der Krebs, es ist alles viel intensiver geworden. Als müsste ich ein ganzes Leben in einem Jahr nachholen, etwas in der Art.«
Ich nickte verständnisvoll; beim Abschied hielt ich mit beiden Händen seine Hand fest. »Du solltest sie ermutigen, sich von dem Schlot zu trennen«, sagte ich. »Für die Kinder ist es auch besser. Ich meine, du bist krank, aber du bist …« Ich suchte nach dem richtigen Wort, »… jemand, ich weiß nicht so recht, wie ich es anders sagen soll. Wenn die Kinder sich selber ihren Vater aussuchen könnten, dann würdensie sich doch eher für dich entscheiden als für diesen puzzelnden Versager, glaubst du nicht?«
»Ich weiß nicht, ich meine, ich werde sie nie daran hindern, ihren Vater zu sehen.«
»Vielleicht kommt es gar nicht so weit«, sagte ich und zwinkerte ihm zu. »Vielleicht erledigt sich das von selbst.«
Erst nachdem wir bei den schwierigeren Fragen angelangt waren – 16 000 Gulden hatte ich auf jeden Fall schon sicher, selbst wenn ich die nächste falsch beantworten sollte –, dämmerte es mir, dass es sich nicht nur um ein abgekartetes Spiel handelte, sondern dass Max sogar die Finger in der Auswahl der Fragen hatte.
Es fing mit der Frage über Reservoir Dogs an, die mir erst noch wie ein Zufall vorkam.
»In dem Film Reservoir Dogs des amerikanischen Regisseurs Quentin Tarantino gibt es die so berühmte wie berüchtigte Szene, in der einer der Bankräuber, gespielt von Michael Madsen, einem Polizisten ein Ohr abschneidet«, las Erik Mencken von seiner Karte vor. »In dem Film habe alle Bankräuber Decknamen, wie Mr. Pink, Mr. Blonde, Mr. White und so weiter … Wie lautet der Deckname von Michael Madsen in Reservoir Dogs ? Ist es A Mr. Brown, B Mr. White, C Mr. Blonde oder D Mr. Orange?«
Ich sah zu Erik Mencken hin. Verachtete ich ihn noch mehr, seitdem ich wusste, dass er sogar zu feige gewesen war, ein Verhältnis mit meiner Frau anzufangen? Der Moderator grinste dämlich, aber nur kurz. Wahrscheinlich hatte er Angst, ich könnte ihm das Grinsen verübeln, wahrscheinlich dachte er an das Stanleymesser.
Ich entschloss mich, mich dieses Mal möglichst normal zu verhalten und gleichzeitig dem Publikum zu
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