Odessa Star: Roman (German Edition)
Richtungen rauf und runter. Auf der anderen Straßenseitehockten aneinandergeschmiegt weiße Gänse im Gras. Weiter weg, auf dem Rangierbahnhof, glitten die roten Liegewagen eines Nachtzugs vorbei.
Richard H. pfiff eine Melodie vor sich hin und entriegelte die Türen. »Was machen wir mit dem?« Er zeigte auf mich. »So macht er die Polster dreckig.«
Max stand bei der Kühlerhaube und sah wieder die Straße hinunter. »Er kann zu Fuß gehen«, sagte er.
Richard starrte Max an. »Zu Fuß gehen? Wir lassen ihn laufen?«
»Ja«, sagte Max. »Oder fällt dir was Besseres ein?«
Richard H. öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Er spuckte aus. »Fuck!«, sagte er.
»Was hast du gesagt?«, fragte Max; er war um den Mercedes herumgegangen und stand jetzt anderthalb Meter von Richard entfernt.
»Fuck, ja! Das hab ich gesagt. Ich meine, was machen wir hier eigentlich?«
Max sah ihm ins Gesicht. »Ich bin müde«, sagte er, »ich will nach Hause.«
»Nach Hause? Und ich? Ich soll wohl wieder Chauffeur spielen, was?« Er spuckte nochmals aus.
»Du bleibst hier«, sagte Max.
Richard H. sah ihn verblüfft an. »Hier?«
»Hier«, wiederholte Max; in einer fließenden Bewegung zog er eine Pistole unter seinem Hemd hervor und hielt sie ihm an die Stirn. Es gab einen trockenen Knall, als er abdrückte.
Als Richard H.s großer Körper langsam in sich zusammensackte, erinnerte er noch am meisten an einen kontrolliert gesprengten Fabrikschornstein. Von mir aus gesehen verschwand er einfach hinter dem Mercedes in der Versenkung; ich hörte ein Geräusch, wie wenn ein Müllsack aus dem zweiten Stock auf die Straße geworfen wird. Dann wares wieder still. Auch die Gänse am Ufer, die bei dem Schuss die Köpfe beunruhigt gereckt hatten, schmiegten sich wieder aneinander.
»Komm, steh nicht so rum«, sagte Max. »Hilf mir mal.«
Gemeinsam schleppten wir den schweren Körper zum Gebüsch neben dem Eingang des Parks; mir tat mittlerweile alles weh, ich schwitzte so heftig, dass ich mir ein paarmal den Schweiß und das Blut aus dem Gesicht wischen musste.
»Vielleicht ist es wirklich besser, du gehst zu Fuß«, sagte Max, nachdem wir die Leiche, so gut es eben ging, mit Zweigen den Blicken eventueller Passanten entzogen hatten. »Das scheint mir auch für die Polster das Beste.«
Ich wartete, bis der Mercedes die Valentijnkade hinuntergefahren war. Als ich ihn bei der Brücke am Ende nach rechts in die Molukkenstraat einbiegen sah, machte ich mich auf den Heimweg.
6
»Hier«, sagt David.
Wir stehen auf der Terrasse hinten im Garten. Er nickt mit dem Kopf. »Hier unter den Platten«, sagt er.
Ich folge seinem Blick. In den Fugen wachsen ein paar Grashalme und unkrautartige Pflanzen. Alles sieht ganz natürlich aus, nicht als wären die Platten vor Kurzem entfernt und wieder neu verlegt worden.
»Ich weiß nicht mehr genau, wie wir draufkamen«, sagt David. »Vielleicht weil wir hier saßen, Nathalie und ich. Als ihr die Party hier im Garten gegeben habt, weißt du noch. Als Wuff den Freund von Max so ankläffte, wie heißt der noch …?«
»Richard. Richard H.«
»Genau. Jedenfalls saßen wir hier am Tisch, und irgendwann kam Max dazu. Er machte seine Witze. Ich fand ihn eigentlich ganz lustig. Und dann fing er von dem Garten an, wie schön wir jetzt wohnen. Nathalie ging weg, weil sie aufs Klo musste, und als wir allein waren, zwinkerte Max mir zu und sagte das von Frau de Bilde. ›Schade, dass sie es selber nicht mehr sehen kann‹, so ungefähr. Nein, er sagte: ›Ich glaube, sie würde sich freuen, wenn sie sehen könnte, wie schön alles geworden ist‹, und dann sagte er noch, wenn Leute einmal ein gewisses Alter erreicht haben, sollte mansie nicht mehr aus ihrer vertrauten Umgebung herausreißen …«
»Und dann hat er dir gesagt, dass sie hier liegt?«
»Nicht direkt, aber eigentlich schon, es war irgendwie deutlich. Ich meine, es blieb die ganze Zeit in der Schwebe, ob alles nur ein Scherz ist. Und dann fragte er nach der Schule.«
Mit der Fußspitze schiebe ich ein Steinchen von der Terrasse auf den Rasen. Und gucke zum Balkon hinauf, von wo ich oft dem Hund zugeschaut hatte, dem Balkon, auf dem Yvonne von Peter Bruggink umarmt wurde, wo ich ein paar Wochen vor unserer Abreise nach Menorca mit Max gestanden hatte.
»Er erkundigte sich ganz konkret nach bestimmten Fächern. Und ob Lehrer mir das Leben schwer machen. Und dann erzählte ich ihm von Verwoerd und seinem Gelabere über die Umwelt und die
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