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Odessa Star: Roman (German Edition)

Odessa Star: Roman (German Edition)

Titel: Odessa Star: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herman Koch
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Manchmal sah ich sie um Mitternacht und manchmal im Morgengrauen, immer dann, wenn ich keine Lust hatte, in Unterhose und T-Shirt auf die Straße zu rennen.
    Sie zieht die Hündchen zu sich heran, als ich mit großen Schritten über den Rasen auf sie zustapfe.
    »Hatte ich dir das letzte Mal nicht den guten Rat gegeben, die Nummer des Tierrettungsdienstes parat zu haben?«
    Die Blondine schnappt nach Luft; eines der Hündchen hat sich gerade erleichtert und schnüffelt an seiner eigenen Garnelen-Kacke.
    »Hier spielen Kinder«, sage ich, obwohl mir klar ist, dass ich nur meine Zeit verschwende. Mir fällt plötzlich ein, was Max damals über Wim Kok und Schelto Patijn gesagt hatte. Sie hatten nicht den geringsten Schimmer, wo sie sich befanden. »Du sammelst die Scheiße jetzt ein, oder du kannst sie dir gleich aus den Haaren klauben.«
    Der Einfall mit dem Tierrettungsdienst war besser gewesen. Ohne nachzudenken, hole ich das Stanleymesser aus der Tasche.
    Hinterher kann man leicht sagen, dass ich ja doch nichts gemacht hätte, dass ich zu feige war, Blut fließen zu lassen, oder dass ich einfach keine Lust hatte, es hinterher aufzuräumen. Wie dem auch sei, ich lasse das Messer sinken, als ich jemanden von der Haustür rufen höre.
    »Papa!« Mein Sohn steht schon halb auf der Straße.
    Ich stecke das Messer ein und winke ihm zu. »David!« Die blondierte Frau schleift ihre Krebse über den Rasen hinter sich her. »Wie lange wohnen Sie hier eigentlich schon?«, höre ich sie noch murmeln, bevor ich mich meinem Sohn zuwende.
    »Ich hole die CD «, sage ich.
    Ich gehe über den Rasen Richtung Auto, überlege es mir aber anders und gehe wieder zurück.
    »David?«
    »Ja?«
    »Mir fällt gerade ein, Max wird in … in zwei Stunden begraben. Du musst ehrlich sagen, wenn du keine Lust hast, aber willst du vielleicht mit?«
    »Hm …«
    »Ich würde es nett finden. Nicht allein zu gehen … Mit dir zusammen hinzugehen«, füge ich schnell hinzu.
    Ein schwaches Lächeln erscheint auf seinem Gesicht. »Okay«, sagt er.

7
    Über den Galileïplantsoen und den Archimedesweg erreichen wir die Molukkenstraat. Als wir uns der Ringvaart nähern, habe ich auf einmal den starken Drang, hinter der Brücke rechts auf die Valentijnkade abzubiegen und zum Eingang des Flevoparks zu fahren.
    Ich könnte David den Leichnam von Richard H. zeigen. Nichts weist darauf hin, dass er nicht mehr dort im Gebüsch liegt, sonst hätten die Medien bestimmt darüber berichtet.
    Natürlich ist nicht auszuschließen, dass der Jogger zur Polizei gegangen ist und erzählt hat, er habe frühmorgens drei Männer am Ufer des Nieuwe Diep gesehen – einer der Männer sei verwundet gewesen und von einem der beiden anderen mit einer Pistole bedroht worden. Aber selbst wenn. Würde die Polizei jemanden hinschicken? Die Vorstellung ist so grotesk, dass ich beinahe in Gelächter ausbreche.
    Auf der Brücke drossele ich das Tempo. Was genau möchte ich David eigentlich zeigen? Wir sind auf dem Weg zu einer Beerdigung, von der am Abend alle Nachrichten und morgen alle Zeitungen berichten werden. Was ist dem noch hinzuzufügen? Die sogenannte raue Wirklichkeit?
    In den vergangenen Tagen tun mir die Rippen nicht mehr so weh, das heißt, der Schmerz ist schon fast wie eine ferne Erinnerung. Meine Nase ist eine andere Geschichte. Sie fühltsich mehr wie ein Fremdkörper an, als hätte ein Plastischer Chirurg sie mir angenäht.
    Christine schlug entsetzt die Hände vors Gesicht, als sie mich an jenem Morgen in die Küche humpeln sah. Natürlich wollte sie gleich wissen, ob Max etwas damit zu tun habe, ob es Max gewesen sei, der um halb sechs an der Tür geklingelt habe. Und nach kurzem Zögern muss ich wahrscheinlich genickt haben, denn als sie später mit einem feuchten Handtuch behutsam mein Gesicht säuberte, sagte sie: »Ich will nicht, dass du dich weiter mit diesen Leuten einlässt.«
    Sie sagte es im Ton einer Mutter, die ihrem Sohn verbietet, mit bestimmten Jungen draußen zu spielen. Anschließend war ich in einen tiefen Schlaf gefallen, und als ich aufwachte, stand sie am Fußende, meine Schuhe in der Hand. »Ich habe das Blut doch noch abbekommen«, sagte sie. Sie setzte sich aufs Bett. »Weißt du noch, was du heute Morgen gesagt hast?« Ich sah sie fragend an. »Als ich dich gefragt habe, woher all das Blut kommt?« Sie legte mir die Hand an die Wange. »Du hast gesagt: ›Du wirst es nicht glauben, aber eine Möwe ist gegen eine Windmühle

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