Odessa Star: Roman (German Edition)
Mal schaute er zur Tür.
»Aber das mit dem Jogger war einfach der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Ich habe noch bis zehn gezählt, aber als wir beim Auto waren, war ich schon bei hundert und habe immer noch rotgesehen.« Er schnipste mit den Fingern. »So geht das nun mal. Peng, weg damit. Mal eine Weile nicht mehr das Gefasel hören. Richard konnte wirklich nonstop maulen. Erst die Sache mit dir und der Parterrewohnung. Das hielt der Herr für ›unprofessionell‹, und das mit deinem Schwager ging ihm erst recht zu weit. Nun ja, und als ich unseren geliebten Französischlehrer am Telefon spielte, war natürlich der Teufel los. Richtig wütend, weißt du, in so einem entrüsteten Ton. Aber für wen hält sich dieses Arschloch eigentlich?«
Ich leerte mein Glas und holte tief Luft.
»Und unsere marokkanische Putzfrau?«
»Okay«, sagte Max, als hätte er meine Frage nicht gehört. »Man lässt sich von jemandem einiges gefallen, ich zumindest, aber das war nicht alles …«
Er sah wieder zur Tür und beugte sich weiter vor.
»Vor ungefähr einem Jahr sollte er für mich ein bisschen auf die Frau aufpassen, ja? Sylvia. Ich meine, manchmal war ich längere Zeit verreist, und ich bin natürlich auch kein Heiliger, aber ich bin ein Familienmensch. Es macht mir nichts aus, wenn sie auch mal ein Abenteuer hat, ich meine, wer bin ich? Aber ich will es dann lieber nicht wissen, verstehst du? Okay, vor einiger Zeit habe ich meine Mailbox abgehört, hat die blöde Kuh doch aus Versehen auf die Kurzwahltaste für meine Nummer gedrückt. Ich kann dir sagen, was ich da gehört habe! Ich bin total ausgerastet, sah nur noch Sterne, ich habe es mir nicht mal bis zum Schluss angehört.«
Ich versuchte mich zu erinnern, wann ich Richard H. und Sylvia zusammen gesehen hatte, aber etwas Besonderes war mir nie aufgefallen.
»Und das redet von Professionalität! Herrgott noch mal! Mit der Frau des Chefs, darauf muss man erst mal kommen! Und das Schlimmste, es war nicht nur ein One-Night-Stand, ich meine, da hätte ich sogar noch ein Auge zugedrückt, aber ich bemerkte etwas an Sylvia, ich weiß nicht, wie man das eben bei Frauen merkt, etwas in ihrem Blick, wie sie das Haar lockerer fallen ließ oder vor sich hin summte, wenn sie die Pflanzen auf dem Balkon goss, du weißt schon.«
Max rieb sich die Augen und schaute in sein Glas, fast erstaunt, als könne er nicht begreifen, warum es leer war; er schüttelte den Kopf und räusperte sich ein paarmal.
»Kurz und gut, an einem Abend, noch nicht so lange her, musste alles raus, sonst wäre ich verrückt geworden. Viel Geheule und Geschrei natürlich, Gläser und Teller an die Wand, bis die arme Sharon, der Schatz, aus dem Bett kam und fragte, was Papa und Mama da machen. Na, das bricht einem das Herz, Mann, das kann ich dir sagen. Wir haben es dann erst mal auf sich beruhen lassen, aber ich habe noch was Blödes gesagt, ich habe gesagt, ich würde Richard bei der erstbesten Gelegenheit eine Kugel durch den Kopf jagen.«
Der Besitzer des Mare Nostrum kam an unseren Tisch, um die Bestellung aufzunehmen.
»Seit dem Moment saß ich ein bisschen wie auf glühenden Kohlen«, sagte Max, als der Mann wieder weg war. »Ich meine, wenn sie ihm was gesteckt hatte, wer ballert dann zuerst auf wen? Okay? Im Flevopark war ich einfach der Erste. Einerseits eine Erleichterung, andererseits bin ich seitdem nicht mehr zu Hause gewesen. Ich meine, sie kommt schnell genug dahinter, wenn ihr Liebster ihre Anrufe nicht beantwortet, sie ist ja nicht blöd. Wenn ich ihre Nummerauf dem Display sehe, drücke ich sie weg. Für sie bin ich wer weiß wo, in Timbuktu oder in Odessa.«
Er klopfte seine Brusttaschen ab. »Talking about Handys …«, sagte er stirnrunzelnd.
»Oder auf der Odessa Star«, sagte ich.
Max sah mich an.
»Auf der was?«
»Auf der Odessa Star. Weißt du noch, als ich dir damals beim Timbuktu begegnet bin? Da fuhr gerade die Odessa Star aus dem Nordseekanal …«
»Ich habe, glaub ich, mein Handy im Auto liegen lassen«, unterbrach Max mich.
Wir standen gleichzeitig auf. Ich ging zum Zigarettenautomaten hinten im Restaurant. Max ging nach draußen. Ich zog mir eine Packung Marlboro, steckte mir eine an und ging aufs Klo.
Dort betrachtete ich mich im Spiegel über dem Waschbecken. Ich bin auch impulsiv, dachte ich. Das blaue Sakko, das ich trug, gehörte nicht mir, sondern Erik Mencken, ich hatte es kurz nach der Aufnahme über einem Stuhl in der Garderobe
Weitere Kostenlose Bücher