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Odessa Star: Roman (German Edition)

Odessa Star: Roman (German Edition)

Titel: Odessa Star: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herman Koch
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ich es mir ein, oder zwinkerte sie mir zu? Jetzt erinnerte sie mich an diese Art Tiere, bei denen man nie weiß, ob sie einen beäugen oder einfach nur daliegen und schlafen.
    »Und was treibst du so momentan?«, fragte Max.
    Ich sagte es ihm.
    Er sah mich ein paar Sekunden lang wortlos an. »Dann müssen Menschen dir aber ganz schön zuwider sein«, sagte er schließlich.
    Der Gong läutete wieder. Das Foyer hatte sich schon fast ganz geleert.
    Max reichte Christine die Hand. »Nett, dich kennengelernt zu haben«, sagte er und nahm seine Frau sanft beim Ellbogen. »Vielleicht können wir uns mal …«, setzte er an, während er mir die Hand schüttelte. »Vielleicht können wir uns mal auf einen Drink treffen. Das wäre nett.«
    Sein Gesicht sprach eine andere Sprache. Sein Gesicht wollte nur noch in den Kinosaal zurück. Wahrscheinlich hätte es mich am liebsten nie mehr gesehen.
    Als wir uns die Hände schüttelten, sah ich einen Blutstropfen auf dem Zifferblatt von Max’ Armbanduhr; es war eine goldene multifunktionale Taucheruhr. Alles in allem war Max wahrscheinlich nicht sonderlich scharf darauf, Erinnerungen an unsere Gymnasialzeit auszukramen.
    »Nächsten Samstag gebe ich eine Geburtstagsparty«, sagte ich. »Es wäre nett, wenn ihr kommt.«
     
    Später, in der Dunkelheit des Kinosaals, beugte sich meine Frau zu mir. Der Meteorit hatte inzwischen einen derartigen Umfang erreicht, dass sein Lichtschein stärker war als die Sonne; es würde nicht mehr lange dauern, bis die Sturmwellen die Freiheitsstatue von ihrem Sockel rissen. Ich liebe Filme, in denen am Anfang alles noch recht idyllisch aussieht. Jetzt, wo ich Deep Impact zum zweiten Mal sah, empfand ich dieses Vergnügen sogar noch stärker als beim ersten Mal.
    »Ich wusste gar nicht, dass du an deinem Geburtstag eine Party gibst«, flüsterte Christine mir ins Ohr. »Jedenfalls hast du mir nichts davon verraten.«
    Ich grinste in die Dunkelheit. »Ich wusste es auch nicht«, flüsterte ich zurück. Ich drückte ihre Hand. »Andererseits wird man nur einmal im Leben siebenundvierzig.«

6
    Es ging auf Mitternacht zu, und ich hatte mich eigentlich schon damit abgefunden, dass Max und Sylvia nicht mehr kommen würden. Die Gespräche waren über tilgungsfreie Hypotheken, neue Restaurants und neue Sekretärinnen inzwischen auf einem Niveau angekommen, an das man am nächsten Morgen lieber nicht mehr erinnert wird. Zwischen den auf dem Parkett zertretenen Nüssen und Salatresten versuchte sich jemand halbherzig an ein paar Tanzschritten; es war der tote Punkt des Abends, an dem plötzlich alle nach ihren Mänteln greifen und von einem Augenblick auf den anderen verschwunden sind.
    Ich war, merkte ich, nicht mehr daran gewöhnt, Partys zu geben. In den letzten Jahren hatte ich meinen Geburtstag immer möglichst unauffällig verstreichen lassen, und es fiel mir einfach schwer, mir auf einmal all die Geschichten von so vielen Leuten gleichzeitig anzuhören. Kurzum, ich war selbst nicht ganz bei der Sache auf meiner Geburtstagsparty, und deshalb war die Qualität meiner Gesprächsbeiträge ebenfalls bedenklich. Allerdings trank ich auch schneller als sonst, sah öfter als sonst auf die Uhr, schlenderte mehrmals so unauffällig wie möglich zum Fenster und schaute eine Weile auf die geparkten Autos im Licht der Straßenlaternen hinunter und hinüber zur Straßenecke – ich wusstein dem Moment schon nicht mehr, ob ich alle Hoffnung auf Max’ Kommen fahren gelassen hatte oder etwas in mir noch immer daran glaubte. Ich war mir auch nicht so sicher, ob ich mich wirklich freuen würde, wenn er doch noch aufkreuzte, oder mich nur erniedrigt fühlen würde, wenn er es nicht täte.
    Ich schob den Ärmel ein wenig zurück und sah auf die Uhr. Viertel vor zwölf … Mit einem Seufzer und einem letzten Blick auf die menschenleere Straße schlurfte ich zurück zu meinem Geburtstag.
    Das Gespräch, das ich vor ein paar Minuten mitten in einem Satz über Steuerklassen verlassen hatte, drehte sich jetzt um Putzfrauen.
    »Also Gabriela ruft uns von Schiphol an«, sagte mein Schwager gerade. »Sie hat Probleme bei der Einreise. Was hat die blöde Kuh gemacht? Sie ist genau eine Woche früher zurückgekommen als die zwei Monate, die sie gesetzlich außer Landes bleiben muss, um wieder reingelassen zu werden. Und dabei hatten wir ihr den Rückflug bezahlt, aus Santiago de Chile! Das ganze Geld zum Fenster rausgeworfen. Wenn das nicht sowieso auch schon vorher der Fall

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