Odessa Star: Roman (German Edition)
eine Packung Staubsaugerbeutel betrachtet, weil man wissen will, wie teuer sie ist oder zu welcher Marke Staubsauger sie gehört, sondern mit einem Blick, der vor allem Bedauern ausdrückte, als sei etwas nicht mehr ungeschehen zu machen. In dem Moment begriff ich, dass Peter Bruggink der Fotograf des Staubsaugerbeutels auf der Verpackung war, aber ich habe mich nie getraut, ihn danach zu fragen.
Und mein Schwager mit seiner chilenischen Putzfrau? Mein Schwager war mein Schwager. Mein Schwager machte überhaupt nichts, was immerhin leicht zu behalten war.
Erik Mencken dagegen war Fernsehmoderator, nicht mehr und nicht weniger. Man konnte es unmöglich vergessen, weil man jeden Freitagabend daran erinnert wurde, wenn um Punkt zehn die Erkennungsmelodie von Wer wird Millionär? erschallte. Seine Gesten, seine tiefe, dunkle Stimme und sein Haar, das bei jedem Wind und Wetter immer fünfzehn Jahre jünger aussah als er selbst, waren ihm vorausgeeilt, als er an einem wolkenlosen Tag vor knapp einem Jahr das vier Stockwerke zählende Herrenhaus an der Ecke Hogeweg und Pythagorasstraat bezog.
Nicht lange danach sahen Leute Mencken zum ersten Mal »in echt« auf der Straße. Sie waren dabei, als er »ganz normal« ein Pfund jungen Käse und zweihundert Gramm Hinterschinken in Het Kaasboertje an der Ecke Brede-und Hogeweg kaufte, und sie hörten mit eigenen Ohren, wie er noch immer »ganz normal wie jeder andere« den Angestellten »ein schönes Wochenende« wünschte.
In den Monaten danach wurde der Moderator immer alltäglicher und normaler, so alltäglich und normal, dass manche Bewohner des Viertels ihn schon fast als ihren Freund betrachteten. »Hallo, Erik!«, riefen sie ihm von der anderen Straßenseite zu, wenn Mencken in seinen dunkelblauen Land Rover Discovery stieg – und der Moderator war sich nie zu gut, den Gruß zu erwidern.
Ich persönlich konnte Erik Mencken gerade wegen seiner Normalmasche nicht ausstehen. Wie ich ihn auch wegen seines Glases Mineralwasser in der Hand hasste, während er sich – auch wieder so völlig alltäglich und normal! – mit scheinbar andächtiger Miene Christines dummes Geschwätz anhörte.
Das Glas Mineralwasser repräsentierte das arbeitsame Leben des Moderators, das nämliche arbeitsame Leben, das ihm nicht erlaubte, sich an dem siebenundvierzigsten Geburtstag eines Nachbarn wie alle anderen einen hinter die Binde zu gießen. Das Glas Mineralwasser verlieh ihm einen Heiligenschein, als wäre er der viel beschäftigte Hausarzt, der jeden Moment zu einem Notfall gerufen werden könnte.
Ich sah, wie Christine den Kopf in den Nacken warf und schallend lachte. Mencken machte dazu eine scheinheilig erstaunte Miene, als wäre er völlig überrascht, etwas Witziges gesagt zu haben.
Angenommen sie fängt mit diesem unerhörten Blödian etwas an, dachte ich, dieser arrogante Lahmarsch steckt ihn bei ihr rein, seinen zweifellos ganz alltäglichen und stinknormalen Schwanz. Dann würde mich das überhaupt nicht interessieren, es wäre sogar eine riesige Erleichterung.
Ich holte ein paarmal tief Luft und schenkte mir das Glas wieder voll, ein paar Tropfen fielen auf das dunkelbraune Holz des Klaviers und verfärbten sich sofort weiß. Neben dem Glas stand das eingerahmte Foto von mir mit Christine und David auf Menorca. Ein äußerst zuvorkommender Kellner hatte es auf der Terrasse des Fischrestaurants im Hafen von Ciutadella gemacht, und während ich mich vorbeugte, um den über den Rand des Glases schwappenden Wodka aufzuschlürfen, sah ich genauer hin.
Es waren keine deutlichen Vorzeichen auf dem Foto zu erkennen; es wurde sogar gelacht. Christine brachte einen Toast aus und schaute den Fotografen-Kellner kokett an. Auch David lachte; ich war, fiel mir auf, der Einzige, der nicht lachte, ich schaute nicht einmal in die Linse. Meine Hände befanden sich unter dem Tisch, als würden sie etwas verstecken. Also doch ein Vorzeichen? Aber vielleicht hatte ich ja als Erster aufgehört zu lachen, hatte ich meine Frau und meinen Sohn angesteckt.
»Geduld ist das richtige Wort«, hörte ich hinter mir die Stimme meines Schwagers. »Arm dran ist einfach falsch. Arm dran sind kranke, ölverschmierte junge Robben. Arm dran ist ein aus dem Nest gefallenes Vögelchen, das sich das Bein gebrochen hat. Aber genauso behandelt Yvonne diese Dritte-Welt-Putzfrauen, als wären sie kranke Robben oder Vögelchen mit gebrochenen Beinen, die in einem Schuhkarton aufgepäppelt werden müssen.«
Ich
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