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Odessa Star: Roman (German Edition)

Odessa Star: Roman (German Edition)

Titel: Odessa Star: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herman Koch
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öffnet die Augen und starrt auf den Lichtspalt zwischen den Vorhängen. Sobald man die Augen wieder schließt, geht die Müllaktion wieder von vorne los. Auch das Pferd ist noch lange nicht an seinem Ziel angelangt.
    »Ich bin krank«, sagte ich zu meiner Frau, als der Wecker klingelte.
    Ein tiefer Seufzer war die Antwort. Es gab einmal eine Zeit, da drehte sie sich nach einer solchen Mitteilung sofort liebevoll zu mir um, nahm mein glühendes Gesicht zwischen ihre kühlen Hände und fragte, ob sie mir zum Frühstück ein oder zwei Toastbrot ans Bett bringen solle. In den letzten Jahren seufzte sie nur noch.
    Ich lauschte dem Rauschen der Dusche im Bad; dann hörte ich, wie sie sich die Zähne putzte und David weckte. Schritte entfernten sich auf der Treppe nach unten. Ich richtete mich halb in den Kissen auf, ein heftiger Schmerz schossmir von der Wirbelsäule in den Kopf, vorsichtig schob ich den Vorhang ein wenig zur Seite. Das Licht tat mir in den Augen weh, als würde jemand mit einer Gabel auf den Rand eines eisernen Tellers schlagen.
    Ich musste kurz eingedämmert sein, denn auf einmal stand Christine angezogen am Fußende des Bettes. In der Hand hatte sie einen Becher, aber an der Art und Weise, wie sie ihn festhielt, war zu erkennen, dass der Kaffee nicht für mich war. »Darf ich dich daran erinnern, dass wir heute Abend bei Jan und Yvonne zum Essen eingeladen sind«, sagte sie.
    Ich stöhnte leise, aber vernehmlich. »Ich bin krank«, sagte ich zum zweiten Mal an diesem Morgen.
    Meine Frau starrte auf den Becher, und ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, dass sie in Gedanken bis zehn zählte.
    »Das war schon lange so ausgemacht«, sagte sie mit übertrieben ruhiger Stimme; es war die Art Ruhe, wie sie in einem Gebäude herrscht, das gerade nach einer Bombendrohung geräumt worden ist. »Ich habe dich noch am Freitag dran erinnert. Und dann wirst du krank. Letztes Mal bist du auch krank geworden. Ich kann ihnen nicht schon wieder absagen, das würde sie kränken. Du nimmst ein paar Paracetamol und kommst mit. Das kannst du mir echt nicht antun.«
    Ich suchte ihren Blick, aber sie fixierte eine Stelle neben meinem Kopfkissen.
    »Ich gehe nicht mit«, sagte ich. »Das Letzte, was ich jetzt brauche, ist Yvonnes Fraß und das Gequassel deines Bruders.«
    Ich rechnete damit, dass Christine mir den heißen Kaffee ins Gesicht schütten würde. Etwas in mir hätte auch gar nichts dagegen gehabt, denn für gewöhnlich wurden nach einer solchen Aktion Essenseinladungen abgesagt. Ich sah Yvonne vor mir, wie sie, die Hände in ländlichen Topfhandschuhen, eine rustikale Auflaufform aus dem Ofen zog, die sie auf einem Markt in der Dordogne einem »furchtbar netten, zahnlosen Mann« abgefeilscht hatte. Das Gericht war entweder angebrannt oder nicht gar, jedenfalls ungenießbar; vor langer Zeit hatte ich noch ein gewisses Vergnügen daran gefunden, nach dem ersten Bissen viel zu laut »Hm, köstlich!« zu rufen, mich viel zu ausführlich nach dem Rezept zu erkundigen und dabei Christine zuzuzwinkern. Aber das war lange her.
    »Ich schaue mal, wie ich mich heute Abend fühle«, sagte ich.
    Ein Teil von mir wäre am liebsten nie mehr zu meinem Schwager und meiner Schwägerin zum Essen gegangen, aber da gab es noch einen anderen Teil, und der war gerade versessen darauf, alles aus der Nähe mitzuerleben. Es war derselbe Teil in mir, der sich früher immer angelegentlich nach allen Zutaten und der Art der Zubereitung der Mahlzeit erkundigt hatte, weil nun einmal ein gewisser Trost von Menschen ausgeht, die nichts aus ihrem Leben machen. Der Teil also in mir, der sich nach Trost sehnte, würde sein Möglichstes tun, Grippe hin oder her, meine Frau heute Abend zu begleiten.
    Inzwischen war auch David in der Tür erschienen. Sein Haar hing ihm in nassen Strähnen in die Stirn. Man konnte nicht sehen, ob er die Augen offen hatte oder nicht.
    »Das Müsli ist alle«, sagte er.
    »Ich komme gleich runter«, sagte Christine.
    David hatte seit ein paar Monaten eine Freundin, ein nettes, aber sehr dünnes Mädchen, das manchmal seine Gitarre mitbrachte. Während des Essens hielten die beiden Händchen unter dem Tisch, und nach dem Dessert gingen sie sofort nach oben; kurz darauf hörte man dann aus seinem Zimmer die Gitarre. Und die Stimme des Mädchens. Beim ersten Mal schaute ich mir gerade die 8-Uhr-Nachrichten anund schaltete sofort den Ton aus. Von wem der Song war, den sie sang, hätte ich nicht sagen können, aber es

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