Odessa Star: Roman (German Edition)
wachsenden Schlange vorbei nach draußen.
Auf dem Parkplatz zündete ich mir eine Zigarette an. Es war noch fast taghell, am Horizont hing eine goldgelbe Sonne über dem Meer. Man hörte das Rauschen der sich auf dem Strand brechenden Wellen. Ich kniff die Augen zusammen und sehnte mich plötzlich nach Dunkelheit, nach einer finsteren Nacht mit Sternenhimmel, statt dieses viel zu grellen südlichen Lichts, das sich mit gleicher Unbarmherzigkeit auf die schönen wie die hässlichen Dinge stürzte.
Als ich in den Speisesaal zurückkehrte, saßen meine Frau, David und Nathalie am Tisch.
»Ich habe für dich etwas mitgenommen«, sagte Christine und zeigte auf einen Teller mit Nudelsalat und ein paar winzigen Brocken Schinken. »Bei den warmen Speisen standen zu viele Leute. Wir versuchen es nachher noch mal, wenn weniger los ist.«
Sie schenkte mir Rotwein ein. »Ich habe mich beim Kellner erkundigt«, sagte sie. »Das Hotel hat jetzt einen belgischen Besitzer. Deshalb sind hier auch so viele Belgier. Und deshalb das Büfett.«
Belgier! Das erklärte manches. Bekanntlich gibt es nirgends auf der Welt so viele hässliche Menschen wie in Belgien, direkt gefolgt von England.
Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. Ringsum ließen die Senioren es sich schmecken. Mit ein wenig gutem Willen könnte man von Charakterköpfen sprechen, ganz passable Statisten für einen Film, der im Mittelalter spielt, mit vielen Szenen in einer urigen Herberge; aber wenn der gute Wille fehlte, blieb nur die Hässlichkeit übrig.
»Hast du dich schon mal umgesehen?«, fragte ich meine Frau. »Ich meine, wirklich hingeguckt?«
David und Nathalie stocherten in ihren Nudeln herum und hielten unter dem Tisch Händchen. Meine Frau versuchte, mir mit Blicken etwas zu sagen, aber ich hatte gerade keine Lust, mir darüber den Kopf zu zerbrechen. Meine Stimmung hatte sich in den vergangenen Minuten merklich gebessert, und das sollte so bleiben.
»Wir sind von allen Seiten von Belgiern umringt«, sagte ich laut zu meinem Sohn und seiner Freundin. Christine trat mir gegen das Schienbein. »Was ist denn jetzt schon wieder?«, rief ich.
Christine beugte sich tief über den Teller und zischte mir zu: »Sie können dich hören!«
Ich blickte zu den kauenden und mit ihren Gabeln hantierenden Senioren – die seit Kurzem belgische Senioren waren – und zuckte die Achseln. Ich merkte, dass Nathalie vorübergehend ihr Interesse an meinem Sohn verloren hatte und mich erwartungsvoll ansah.
»Engländer sind nicht gerade zimperlich, was das Essen betrifft.« Ich hob das Glas und stellte es wieder hin. »Das erklärt, warum sie alle so schrecklich hässlich sind. Wenn man tagein, tagaus in großen Mengen Mehl und Fett zu sich nimmt, dann kommt das durch die Haut wieder raus. Aber Belgier haben einen ähnlichen Speiseplan wie Franzosen,möchte man meinen, also muss ihre Hässlichkeit eine andere Ursache haben.«
Auch David war jetzt ganz Ohr, er hatte die Gabel hingelegt.
»Kennst du Suske und Wiske?«, fragte ich Nathalie. »Den Comicstrip?«
Sie nickte. »Fand ich nie so interessant«, sagte sie.
»Ich auch nicht. Das heißt, früher habe ich ihn ab und zu gelesen, und das Komische ist, dass ich ihn erst vor allem deshalb nicht gut fand, weil er meiner Meinung nach nicht realistisch genug war. Aber dann fährt man mal nach Belgien und erkennt schlagartig, dass Suske und Wiske aus dem Leben gegriffen sind. Buchstäblich an jeder Straßenecke sieht man die Lambiks, die Jeroms und Sidonias vorbeischlurfen. Die Figuren sind alles andere als Karikaturen. Es gibt sie wirklich, und sie sind tatsächlich so hässlich.«
Nathalie guckte mich belustigt an, aber David gähnte, meine Frau hatte ihren Teller leer gegessen und gab sich nicht die geringste Mühe zu verbergen, dass sie überhaupt nicht zugehört hatte.
»Und?«, fragte mein Sohn.
»Und was?«
»Warum sind Belgier so hässlich?«
»Tja, das ist eine gute Frage. Wir Niederländer essen ja auch nicht besonders gesund, aber es gibt in Holland eine ganze Menge schöner Menschen, das wird oft geleugnet, denn wir haben nun einmal keine hohe Meinung von uns selbst. Objektiv gesehen brauchen wir uns aber in keiner Weise zu schämen: holländische Mädchen gehören zu den schönsten der Welt, das ist allgemein bekannt.«
Beim letzten Satz richtete ich den Blick nur auf Nathalie. Ich wollte es nicht, ich sträubte mich mit aller Kraft dagegen, aber etwas in mir war stärker, das etwas zwinkerte ihr
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