Odessa Star: Roman (German Edition)
zu, als ich sagte, holländische Mädchen seien die schönstender Welt. Fast gleichzeitig spürte ich, wie mein Gesicht heiß wurde; wenn ich jetzt nicht rasch unter irgendeinem Vorwand das Weite suchte, würde ich schon am ersten Tag unseres idyllischen Urlaubs auf schreckliche Weise entlarvt werden.
»Und sie müssen sich schämen?«, fragte Nathalie, bevor ich mir etwas einfallen lassen konnte.
»Bitte?«
»Sie haben gesagt, wir Holländer brauchen uns nicht zu schämen, aber das heißt, die Belgier …«, sie machte eine ausgreifende Handbewegung, »die müssen sich wohl schämen?«
»Fred«, sagte ich rasch. »Du sollst mich doch nicht mehr siezen. Schon gar nicht im Urlaub.«
Ich holte tief Luft und trank einen Schluck. Auch meine Frau war aus ihrer Lethargie erwacht. David blickte von seiner Freundin zu mir. Ja, Alter, was jetzt? schien er zu denken.
»Es gibt zwei Arten von Hässlichkeit«, sagte ich. Es gab keinen Weg mehr zurück. »Für die eine können Menschen nichts: Vererbung, widrige Lebensumstände, schlechte Ernährung aufgrund von Armut, Krankheit usw. Gegenüber dieser aus solchen Gegebenheiten hervorgehenden Hässlichkeit müssen wir Nachsicht üben. Nicht Mitleid, denn damit würden wir diese Menschen nur noch mehr verunsichern, sondern Nachsicht. Und das bringt uns zur zweiten Art der Hässlichkeit, die im Kern eine unverzeihliche ist. Unverzeihlich, weil selbst verschuldet. Engländer zum Beispiel stopfen sich voll mit Mehl und Fett oder haben die Angewohnheit, in Zeitungspapier eingewickelten Fisch zu verspeisen, sodass sie auch noch hohe Dosen von Druckerfarbe schlucken. Nur ein staatliches Verbot könnte sie davon abhalten. Das ist unverzeihlich, so wie auch Dummheit immer unverzeihlich ist.«
Nathalie wollte widersprechen, aber ich war noch nicht fertig mit meiner Geschichte. Sie war schon schlimm genug, aber nur halb erzählt womöglich noch schlimmer.
»Ich habe keine Ahnung, worauf die Hässlichkeit der Belgier zurückzuführen ist«, sagte ich, ohne Luft zu holen, damit sie mich nicht unterbrechen konnte, »aber die Ursache liegt zweifellos in etwas Unverzeihlichem. Ich meine, seht euch doch um, zuerst dachte ich, wir haben es mit lauter Alten zu tun, aber sie sind höchstens ein paar Jahre älter als wir. Als Christine und ich, meine ich. Dafür müssen sie sich schämen, ja. Dass sie offensichtlich ein Leben geführt haben, das sie mit fünfzig aussehen lässt, als würden sie schon mit einem Bein im Grab stehen.«
Meine Frau starrte mich an, ihr Mund klappte sogar ein wenig auf. Dann nahm sie einen ordentlichen Schluck und warf das Haar zurück. »Nun«, sagte sie zu Nathalie. »Da hat dir mein Mann ja mal gründlich die Augen geöffnet.«
Nathalie biss sich auf die Lippen. »Ich weiß nicht …«, fing sie an; sie hatte auf einmal feuchte Augen, an den unteren Augenrändern hatten sich kleine, tauähnliche Tropfen gebildet. »Ich finde das alles so schrecklich zynisch, Herr Moorman. Sie reden ja über diese Menschen, als wären sie missgebildet, obwohl Sie doch gar nicht wissen können, was für ein Leben sie geführt haben. Vielleicht haben sie ja viel zu schwer arbeiten müssen, oder vielleicht wohnen sie in Gebieten mit viel Industrie und Luftverschmutzung, davon gibt es viele in Belgien.«
Ich blickte in ihre tränenfeuchten Augen und wusste auf einmal nicht mehr, worauf ich hinauswollte. Um uns herum schwatzten die Belgier, dass es eine Art hatte, die meisten hatten sich schon mehr als einmal mit Nachschub versorgt. Sie schienen bester Stimmung. Wenn Nathalie einfach gesagt hätte: Warum dürfen hässliche Menschen sich nicht amüsieren? hätte ich ihr lachend zugestimmt, aber sie hatte »Industrie«und »Luftverschmutzung« ins Spiel gebracht. Wahrscheinlich schlug ihr Herz für die »Umwelt« im Allgemeinen, zog ich das deprimierende Fazit. Zweifellos war ihr Kopf voll von »antirassistischen« und »antiglobalistischen« Ansichten, waren »Imperialismus« und »multinationale Unternehmen« die Bösewichte, durfte man in ihrer Weltanschauung Menschen nicht nach ihrem Aussehen beurteilen oder sie dafür zur Verantwortung ziehen, weil die Schuld ja bei anderen lag. Schade um so ein liebes Mädchen, durchfuhr es mich, und ganz kurz fühlte ich jetzt selber etwas hinter meinen Augenlidern brennen.
»Du hast recht«, sagte ich zu Nathalie, die noch immer betrübt dreinschaute. Sie guckte wie ein Hund in einem Tierasyl, den niemand haben will, das heißt eigentlich
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