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Odessa Star: Roman (German Edition)

Odessa Star: Roman (German Edition)

Titel: Odessa Star: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herman Koch
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rufst du an?«
    Der Wasserhahn, wenn es denn einer gewesen war, war jetzt zugedreht. Ich schaute auf die Uhr: Viertel vor zehn. »Ich hab dich hoffentlich nicht geweckt.«
    Max sagte jetzt etwas Unverständliches zu jemandem in seiner Nähe.
    »Ich wollte dich nicht stören.«
    »Wie ist das Wetter da?«
    »Das Wetter?« Unwillkürlich guckte ich zum faden Blau des Himmels. »Na ja, also …«
    »Hier ist es … Warte, ich geh mal auf den Balkon.« Es erklangen neue Geräusche: das Öffnen einer Schiebetür? Dann das Rauschen einer Großstadt, hupende Autos und quietschende Reifen. »Es ist hier heiß. Wusstest du, dass das Schwarze Meer überhaupt nicht schwarz ist? Was ist denn jetzt schon wieder?« Obwohl Max die Hand auf die Muschel gelegt hatte, konnte ich seine Stimme gut hören. »Nein!«
    Ich hatte die Ecke Linnaeusparkweg und Hogeweg erreicht. Ein Wägelchen der Stadtreinigung spritzte die Rinnsteine sauber. Mit einem Finger auf dem anderen Ohr ging ich wieder ein Stück zurück. Das Schwarze Meer … Es hatte mir ziemlich die Sprache verschlagen.
    »Frauen, sage ich dir …« Max war jetzt wieder klar und deutlich zu verstehen. »Es ist überall dasselbe. Wie geht’s … wie geht es deiner Frau, by the way? Habt ihr einen schönen Urlaub gehabt?«
    »Ja, wunderbar. Es ist immer ein bisschen merkwürdig, wieder nach Hause zu kommen …« Ich machte eine Pause, aber offenbar erwartete Max, dass ich den Satz beendete, denn am anderen Ende der Leitung blieb es still. »… als wäre alles so wie immer, obwohl es gleichzeitig auch wieder anders ist …«

    »Fred?«
    »Ja?«
    »Geht’s dir gut?«
    »Mir …? Mir geht es prima. Ich …«
    »Gott sei Dank. Ich konnte dir gerade nicht ganz folgen, wenn du verstehst, was ich meine.«
    »Nicht folgen …?«
    »Ich dachte, wovon redet er bloß? Ist er nicht mehr ganz nüchtern? Aber dafür ist es ja wirklich noch ein bisschen zu früh. Jedenfalls bei euch, scheint mir …«
    Aus einem Hauseingang kam plötzlich eine ganze Familie; abrupt drehte ich mich um und lief Richtung Hogeweg.
    »Max …?«
    »Ja, Junge?«
    Hinter mir hörte ich Wagentüren schlagen. Ich holte tief Luft. »Hast du dir in letzter Zeit noch die Wohnung im Parterre angesehen?«
    Es klang, als hätte Max wieder die Hand auf die Muschel gelegt. Ich hörte ein Ächzen, gefolgt von ein paar unverständlichen Worten einer Frauenstimme. Dann wieder Max’ gedämpfte Stimme: »Go inside! Go inside … Don’t worry. I come … I come inside … Yes …«
    Als ich die Straße überqueren wollte, näherte sich ein blauer Land Rover Discovery im Schneckentempo, der Fahrer hinter der reflektierenden Windschutzscheibe winkte mich weiter.
    »Max?«, sagte ich.
    »Hör mal, der Akku ist fast leer, ich habe was zu erledigen, ich rufe dich noch an.«
    »Max, einen Augenblick …«
    Das Seitenfenster des Land Rovers glitt nach unten, und ich sah in Erik Menckens sonnengebräuntes, grinsendes Gesicht. »Alles okay, Fred?«

    Ich nickte ein paarmal heftig mit dem Kopf und hielt das Handy hoch. Sieht der Trottel nicht, dass ich telefoniere?
    »Schönen Urlaub gehabt?«, rief das braune Gesicht durch das Fenster.
    »… muss wirklich auflegen«, hörte ich Max sagen. »Ich rufe dich an, wenn ich aus Odessa zurück bin.«
    Ich zeigte Erik Mencken und seinem Geländewagen die kalte Schulter und war in ein paar Schritten auf der anderen Straßenseite. »Wo ist …?«, fing ich an, wusste aber nicht mehr, wie es weitergehen sollte. Der Land Rover hupte laut. »See you!«, hörte ich den Moderator rufen.
    »Hat die Frau von unten noch gesagt, wo sie hingeht?«, fragte ich.
    Kurz dachte ich, Max hätte schon aufgelegt, aber dann hörte ich wieder das Rauschen der Stadt. Odessa … Max war in Odessa.
    »Fred, vielleicht hörst du mich noch, aber ich höre dich nicht mehr … Ich mache Schluss … ich rufe dich an …«
    »Max …! Nur einen Augenblick …«
    Im nächsten Moment stand ich auf dem Bürgersteig des Hogeweg, Ecke Linnaeusparkweg, in Watergraafsmeer, und starrte auf das Display meines Handys, auf dem jetzt nur der Name des Betreibers zu lesen war. Ich konnte nichts dafür, aber in Gedanken sah ich Max in einem schwarzen Seidenkimono auf dem Balkon eines Apartments oder Hotelzimmers am Schwarzen Meer stehen, als er zu mir sagte, er könne mich nicht mehr hören, und der Frau zuzwinkern, die im Zimmer unter den weißen Laken auf ihn wartete.
    Die Frau bekam jetzt auch ein Gesicht, es war das der Frau, die er vor

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