Odessa Star: Roman (German Edition)
ein paar Monaten zu meinem siebenundvierzigsten Geburtstag mitgebracht hatte … Danka? Hanja …? Ich fasste mich an die Nase, die sich kalt anfühlte. Galja! Der Name landete mit einem sanften Plumps in meinem Gedächtnis. Ich sah das Wasserglas mit dem Wodka vor mir,mit dem sie in der Pythagorasstraat durch das Wohnzimmer getanzt war, und die Blicke, mit denen Hugo Landgraaf, Peter Bruggink, Erik Mencken und mein Schwager ihr gefolgt waren.
Ich ging Richtung Bredeweg und wählte hintereinander einige Nummern aus dem Adressbuch, jedes Mal unterbrach ich die Verbindung nach kurzer Zeit. Mein Handy behielt die letzten sieben Nummern, die man gewählt hatte, und nach der achten wurde Max’ Nummer automatisch gelöscht.
Im Feinkostladen Het Kaasboertje kaufte ich zweihundert Gramm Leber mit Speck und zweihundert Gramm Pökelfleisch. Während das Fleisch geschnitten wurde, nahm ich zwei Milchtüten und zwei Halbliterflaschen Cola light aus dem Kühlregal. Ich beugte mich gerade über die Auslage mit ausländischem Käse, als Erik Mencken hereinkam.
Die Begrüßung der drei Angestellten hinter der Theke war nicht weniger als überschwänglich. »Ha, Erik!« »Wie geht’s, Erik?« – der Junge, der damit beschäftigt war, meine zweihundert Gramm Pökelfleisch in dünne Scheiben zu schneiden, unterbrach seine Arbeit. »Wir haben den bulgarischen Schinken bestellt, er wird gegen Ende der Woche da sein.«
Mencken lächelte huldreich und musterte mich unverfroren von Kopf bis Fuß. »Sonst sieht man sich nie, und dann läuft man sich ständig über den Weg«, sagte er mit dem gekünstelten gutturalen Timbre seiner unverwechselbaren Stimme.
Die Jungen hinter der Theke brachen in Lachen aus, als hätte Erik Mencken etwas Komisches gesagt.
»Womit kann ich dienen, Erik?«, fragte derselbe Junge, der sich um mein Pökelfleisch kümmern sollte; der Fernsehmoderator hatte der Theke den Rücken zugewandt und tat, als suche er etwas zwischen den Joghurt-und Yakult-Flaschen.
Es war interessant zu beobachten, mit welcher Lässigkeit er sich, die Hände in den Hosentaschen, in den Mittelpunktstellte. Eigentlich verhielt er sich, als wäre er zu Hause; wenn im Laden ein Sofa gestanden hätte, hätte er sich mit einem Seufzer des Wohlbehagens darauf sinken lassen und nach seinen Pantoffeln und einem gut gekühlten Bier gerufen.
»Gebt mir mal drei Mozzarella«, sagte er, immer noch ohne einen der Verkäufer direkt anzusehen. »Und ein paar Flaschen Pellegrino.«
Zwei der Jungen ließen sofort alles stehen und liegen, der dritte war etwas unschlüssig und wandte sich schließlich mir zu.
»Sonst noch etwas?«, fragte er.
Ich fühlte die Hitze in meinem Kopf steigen, meine Augen begannen zu tränen. Ich zeigte auf das Pökelfleisch unter der Schneidemaschine.
»Da«, stammelte ich. »Das …« In dem Moment legte sich eine Hand auf meine Schulter. Ich sah in Erik Menckens grinsendes Gesicht.
»Hör mal, deine reizende Frau ist auch wieder da, nehme ich an?«
Ich brachte kein Wort heraus.
»Ich würde mich gerne bald mit ihr treffen«, nutzte Mencken den sprachlosen Moment. »Sie hatte ein paar sehr nette Ideen für mein Programm. Und über das Fernsehen im Allgemeinen. Wann war das noch gleich …? Ach ja, an deinem Geburtstag, Fred. Deine Frau hat ungeahnte Talente. Die sollte man pflegen.«
Wenn er da zwischen dem Käse und dem Aufschnitt in meiner Gegenwart und der der Angestellten seinen Schwanz aus der Hose geholt hätte, um ihn, fast zärtlich, mit Daumen und Zeigefinger zu kneten, bis er in seiner ganzen Pracht schräg nach oben zur Decke gezeigt hätte, von der die belgischen und spanischen Schinken hingen, hätte ich mich wahrscheinlich nicht weniger leer gefühlt als jetzt.
Erik Mencken zwinkerte mir zu. »Deine Frau ist übrigensder Meinung, du wärst der ideale Kandidat für Wer wird Millionär?«, sagte er vergnügt. »Du hättest alle diese kleinen Fakten im Kopf, von denen man nie weiß, was man mit ihnen anfangen soll. Aber es ist ein Wissen, mit dem man reich werden kann.«
Einmal auf der Straße, die Plastiktüte mit den Einkäufen in der Hand, hatte ich das seltsame Gefühl, gerade physisch malträtiert worden zu sein. Ja, so war es: Ich war an einem öffentlichen Ort vergewaltigt und misshandelt worden, ohne dass einer der Umstehenden eingegriffen hatte. Ich fühlte mein Herz wie wild schlagen – aber an einer tieferen Stelle als sonst, als könnte es nicht länger aus eigener Kraft seine Position
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