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Odessa Star: Roman (German Edition)

Odessa Star: Roman (German Edition)

Titel: Odessa Star: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herman Koch
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behaupten und müsste Halt bei anderen, tiefer gelegenen Organen suchen.
    Mir fielen unterdessen eine ganze Reihe schlagfertige Antworten ein, die Erik Mencken den Mund gestopft hätten. Wenn ich dich noch ein einziges Mal in der Nähe meiner Frau erwische, bist du ein toter Mann. Ich klopfe dich so weich, dass du nur noch Lochkäse essen kannst, du Saukerl. Du hältst dich für eine große Nummer, was, mit deinen albernen Fragen und deiner Augenzwinkerei, aber eigentlich bist du eine totale Null. Wenn man dir einen Kopfschuss verpasst, finden sie beim Fernsehen sofort einen Nachfolger für dich, der genauso blöd ist wie du …
    Ich sah plötzlich Erik Mencken in seinem am Straßenrand geparkten Land Rover vor mir: Wie ich ihm durch das Seitenfenster auf die Schulter klopfe, schaut er überrascht auf. Aus nächster Nähe schieße ich ihm durch den Kopf, sodass sein Gehirn gegen das Beifahrerfenster spritzt. Hasta la vista, baby!
    Nachdem ich den Film vom explodierenden Kopf der TV -Persönlichkeit ein paarmal wiederholt hatte, beruhigte ich mich allmählich wieder.
    Nicht weit von unserem Haus sah ich in der Grünanlage eine blondierte Frau in einem halblangen Ledermantel ihrewinzigen Hündchen ausführen, die behaarten Garnelen ähnelten. In einer fernen Vergangenheit hatte ich sie einmal höflich gebeten, ihre Lieblinge nicht auf dem Rasen, sondern ganz normal wie in jedem anderen zivilisierten Land in der Gosse scheißen zu lassen oder zumindest die Garnelenkacke hinter ihnen aufzuräumen – aber danach hatte ich es sein lassen. Jetzt stand eines dieser erbärmlichen Hündchen gerade mit gekrümmtem Rücken auf dem Rasen, die Frau hatte es an der Leine und sah vor sich hin, während das andere an den Reifen der geparkten Autos schnüffelte.
    »Wie geht’s denn so?«, rief ich ihr aus zwanzig Metern Entfernung zu.
    »Was?« Die Frau schaute etwas alarmiert auf. Weil das Hündchen gerade angefangen hatte, den Rasen zu beschmutzen, konnte sie es nicht einfach so mir nichts, dir nichts weiterziehen; ich blieb direkt vor ihr stehen.
    »Jetzt hör mir mal gut zu, du fiese, fette, blondierte Sau«, sagte ich langsam und deutlich. »Ich habe dich schon einmal höflich gebeten, deine Scheißerchen nicht hier auszuführen. Ich warne dich zum letzten Mal. Beim nächsten Mal würde ich an deiner Stelle die Nummer des Tierrettungswagens dabeihaben.«
    Außergewöhnlich zufrieden mit diesem letzten Einfall und ohne eine Antwort abzuwarten, ging ich weiter. Vor der Haustür sah ich mich noch einmal um: Die Frau zog die Hündchen hinter sich her, fast schneller, als die kleinen Pfötchen sie tragen konnten, sodass man ihre Nägel über den Bürgersteig ratschen hörte. Mit rotem Kopf flüchtete sie zwischen den geparkten Autos hindurch zur anderen Straßenseite.
    Erst als ich den Schlüssel ins Schloss steckte, fiel mir ein, dass ich die Heringe vergessen hatte.

7
    In den nächsten Tagen passierte auffällig wenig, weniger jedenfalls, als ich erwartet hatte. Ich hatte damit gerechnet, dass die beiden Polizeibeamten noch einmal auftauchen oder dass Frau de Bildes abstoßende Tochter, mit oder ohne einen Topf Suppe in einer Plastiktüte von Aldi, vor der Tür stehen würde.
    Am Tag nach unserer Rückkehr hatte ich ihren Namen auf einen Zettel geschrieben und ihn anschließend durchs Klo gespült. Titia … Nachdem ich die Buchstaben schwarz auf weiß vor mir gesehen hatte, war ich mir sicher, ich würde den Namen nie mehr vergessen. Ich hatte mir nämlich vorgenommen, sie ständig mit ihrem Vornamen anzureden, wenn sie irgendwann doch aufkreuzen würde: Die meisten Menschen lassen sich davon nämlich leicht einwickeln, man schafft eine Atmosphäre der Vertrautheit, auch wenn diese nichts als heiße Luft ist.
    Vor allem Frauen sind dafür empfänglich, insbesondere hässliche Frauen, weil es sie völlig überrascht: Sie sind es nicht gewohnt. Schon als Kinder mussten sie erleben, wie alle in ihrer Umgebung das Aussprechen ihres Vornamens mieden. Während alle möglichen Haustiere, Hunde, Katzen und sogar Kühe, Schweine und Hühner, beim Namen gerufen wurden, umgab ihren eigenen Namen eine merkwürdige Stille: ein von der Umgebung isoliertes Vakuum, das sich schon bald mit den vor Ungeduld zappelnden Spitznamen füllte. Dicke … Glupschauge … oder kurz und schmerzlos: Vogelscheuche …
    Titia war jedenfalls ein grausamer Name für Frau de Bildes Tochter, weil er an eine Blume erinnerte und nicht an eine verkümmernde und nach

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