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Odessa Star: Roman (German Edition)

Odessa Star: Roman (German Edition)

Titel: Odessa Star: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herman Koch
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übersäte Hand um den Türpfosten.
    »Eine Tasse Tee …?« Meine Stimme überschlug sich mit einem schnarrenden, nach Luft schnappenden Pfeifton, der auch von Rotz und Schleim kündete. Ich räusperte mich. »Das wäre wunderbar, Fatima. Aber vielleicht … vielleicht …«
    Sie blickte mich mit ihren großen schwarzen Augen erwartungsvoll an. »Ja?«
    »Rechts oben im Schrank über der Anrichte steht eine Flasche. Jack Daniel’s. Einen Schuss davon in den Tee?«
    Ich hatte keine Ahnung, wie sie dieses Ansinnen auffassen würde, wer weiß, vielleicht war sie gläubig und ihre Religion verbot ihr, Alkohol einzuschenken. Man wusste nie, woran man bei den Marokkanern war, manche soffen sich halb zu Tode, andere waren ziemlich pingelig. Ich hatte mal von einem Marokkaner gehört, der eine kleine Speditionhatte und der sich weigerte, Weihnachtspakete zu transportieren, weil sie möglicherweise alkoholische Getränke enthielten. Aber Fatima schenkte mir ein warmes Lächeln. Und als sie dabei eine Reihe strahlend weißer Zähne entblößte, schien es, als wäre plötzlich ein dünner Sonnenstrahl ins Zimmer gefallen.
    »Es heißt, man schwitzt dann die Erkältung schneller aus«, sagte ich noch, aber da waren ihre schwarzen Locken und weißen Zähne schon verschwunden. Ich hörte ihre Schritte auf der Treppe.
    Danach muss ich in einen tiefen Schlaf mit schweren Träumen gefallen sein, an die ich mich bis auf den heutigen Tag noch immer Szene für Szene erinnere. Zuerst träumte ich wieder von den Müllsäcken, die sich noch immer an dem Baum türmten, und wie sehr sich die Müllmänner auch anstrengten, der Berg wurde einfach nicht kleiner.
    Der nächste Traum war äußerst klar, fast realistisch und ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Eine Auslegung der eventuellen tieferen Bedeutungsschichten war jedenfalls völlig überflüssig.
    Ich stand vor dem Spiegel in einem Badezimmer, das eine gewisse Ähnlichkeit mit dem in der Wohnung meines Schwagers hatte. Ich war dabei, eine Zigarette zu rauchen, als sich die Tür öffnete und eine Frauenstimme sagte: »Oh, Entschuldigung, die Tür war nicht abgeschlossen.« Ich drehte mich um, es war meine Schwägerin, die auf die Zigarette in meiner Hand starrte.
    »Die Toilette unten ist besetzt«, sagte sie.
    Das gehörte immer noch zum Traum, denn in Wirklichkeit haben sie nur eine einstöckige armselige Wohnung, von zwei Toiletten ganz zu schweigen, aber darum ging es auch gar nicht. Worum es ging, war, dass ich mich beim Rauchen ertappt fühlte, ertappt und beschämt, als dürfte ich, ein siebenundvierzigjähriger Mann, nicht im Badezimmermeiner angeheirateten Verwandtschaft rauchen. Oder besser gesagt: Die Tatsache, dass ich im Badezimmer rauchte, sagte genug über den verbotenen und heimlichen Charakter dieser Handlung. In dieser Hinsicht ähnelte der Traum den Träumen von der Abiturprüfung, die man immer noch bestehen muss, obwohl das Abitur schon dreißig Jahre oder länger zurückliegt.
    Im Traum empfand ich zwar Scham gegenüber meiner Schwägerin, fand mich aber andererseits zu alt, um die Zigarette hinter meinem Rücken zu verbergen oder sie rasch auszudrücken. Gemächlich steckte ich sie mir zwischen die Lippen und musterte meine Schwägerin von Kopf bis Fuß.
    »Ich war gerade fertig«, sagte ich leise und blies ihr den Rauch ins Gesicht.
    Yvonne Vriend-Claessens hatte wie in Wirklichkeit sehr kurzes Haar, aber nicht normal kurzes Haar, sondern von der Sorte, über die man sich entweder zu einer Bemerkung genötigt fühlt oder worüber man besser schweigt. Auf der Nase hatte sie eine dazugehörige Brille, die einen ebenfalls mit Nachdruck darauf hinwies, dass es sich um eine Brille und nicht nur um eine Sehhilfe handelte. Es war deutlich, sowohl innerhalb wie außerhalb des Traums, dass die Kombination von Brille und Haar und dem ebenso lächerlichen Nike-Sweatshirt mit Kapuze sie jünger oder jedenfalls moderner aussehen lassen sollte, obwohl sie in Wirklichkeit den Abstand verringerte, der sie vom Tod trennte. Wie dem auch sei, eben standen wir uns noch gegenüber, als wenn nichts wäre, außer dass ich beschlossen hatte, einfach weiterzurauchen, und im nächsten Moment hatte ich meine Schwägerin am Schopf gepackt, mehr schlecht als recht in Anbetracht des kurz geschnittenen Haars, und sie mit dem Gesicht auf den Rand des Waschbeckens geschlagen. Einfach ein paarmal kurz hintereinander, worauf sich das Geräusch von zersplitterndem Glas mit dem von

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