Odessa Star: Roman (German Edition)
rief Max. »Ich habe die da wegen der Ratschläge für den Garten mitgebracht.« Er zeigte mit dem Kopf auf seine Frau. »Welche Pflanzen wohl und welche nicht, solche Dinge. Wo ist deine Frau?«
»Hallo alle zusammen«, sagte Sylvia, sie winkte in einer Art Kollektivbegrüßung in die Gartenrunde; kollektiv auch insofern, als alle Gespräche mit einem Schlag verstummten, als Max und seine Frau den Garten betraten. Und doch war es anders als bei meinem siebenundvierzigsten Geburtstag: In ihrem T-Shirt und ihren Jeans fiel Sylvia nicht aus dem Rahmen, und auch Max trug diesmal ein Poloshirt mit kurzen Ärmeln – allerdings war es schwarz, genauso schwarz wie seine Hose und seine Schuhe.
Aber egal, in welchen Kleidern Sylvia den Garten betreten hätte, sie wäre immer aus dem Rahmen gefallen, denn von allen anwesenden Frauen war sie nicht nur die größte, sondern auch die schönste, um nicht zu sagen: von blendender Schönheit.
Viel Zeit, sich von diesem Anblick zu erholen, hatten meine Gäste nicht, denn als Richard H. als Letzter in den Garten kam, ertönte aus der hintersten Ecke, wo David und Nathalie saßen, lautes Gebell. Ich hätte Frau de Bildes Hund nie ein solches Tempo zugetraut. Mit aufgesperrtem Maul, aus dem der Geifer in alle Richtungen flog, kam er knurrend und bellend direkt auf uns zugerannt. Genauer gesagt auf Richard H. Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken, hätte ich nicht die Lippen zusammengepresst, hätte man meine Zähne klappern hören können. Richard H. blieb erst regungslos stehen und tat dann etwas völlig Unerwartetes: Er ließ sich auf ein Knie fallen und hielt dem knurrenden Hund die Hand hin. Mit der anderen holte er etwas aus der Tasche seines Jacketts, das in eine Serviette gewickelt war.
Knapp vor der ausgestreckten Hand kam Wuff zum Stehen. Er bellte noch ein paarmal, aber als Richard H. die Serviette auseinanderfaltete, hielt der Hund den Kopf schief und schaute erwartungsvoll auf den Inhalt.
»Hier«, sagte Richard H. und schob ihm das Stück Leberwurst ins Maul; mit der anderen Hand packte er den nun schwanzwedelnden, schmatzenden Hund am Halsband und zog ihn zu sich heran. »Das schmeckt dir, was?« Wuff ließ sich willig von der großen Hand den Kopf streicheln.
Kaum eine Minute später unterhielten sich alle wieder; am Büfett packte Max mich am Arm und flüsterte mir ins Ohr: »Ich muss in Kürze etwas mit dir besprechen.« In dem Moment sah ich, wie mein Schwager mir von der anderen Seite des Tisches aus seinem leeren Gesicht einen vielsagenden Blick zuwarf.
2
»Es ist eigentlich ganz einfach«, sagte Max, während er geschickt die Tagliatelle auf den Löffel drehte. »Du musst nur ein bisschen aufpassen. Ist die Antwort A, B, C oder D? Es ist eigentlich völlig absurd, wenn man mal darüber nachdenkt. Die meisten Antworten weißt du wahrscheinlich sowieso, aber wenn nicht, dann ist das auch kein Beinbruch. Du musst nur auf die gebräunte Visage unseres Kumpels achten. Zieht er die linke Augenbraue hoch, dann ist es A, die rechte, dann ist es B und so weiter. Aber das verabredet ihr dann noch. Er macht, glaube ich, jedes Mal was anderes, dann fällt es nicht auf. Ich habe sowieso gleich an dich gedacht, weil du doch all diese Fakten parat hast. Was ist die längste Brücke der nördlichen Halbkugel, ich meine, wahrscheinlich hast du Eriks hochgezogene Augenbrauen gar nicht nötig. Dann brauchst du dir auch seine obszöne Fratze nicht anzugucken, wenn sich dir dabei der Magen umdreht.«
Max schob sich die Gabel in den Mund, kaute und sah mich dabei ein paar Sekunden mit schrägem Kopf an, wie ein Hund, der den Knochen nicht durchkriegt. »Herrgott noch mal!« Er presste die Serviette auf den Mund, als müsste er den ganzen Bissen auskotzen. »Herrgott noch mal! Köstlich! Maestro!« Er winkte mit der Serviette dem Besitzer zu,der hinten bei der offenen Küche stand. »Topico, Maestro!« Er hob den Daumen, der Besitzer hob sein Glas.
Am Anfang waren alle Tische im Mare Nostrum besetzt gewesen, aber nach einigem Hin und Her war innerhalb einer halben Minute ein Tisch frei, die Gäste wurden ins Obergeschoss dirigiert. »Das ist nicht so beliebt«, sagte Max und zwinkerte mir übertrieben zu.
Schon beim ersten Bier hatte Max von seinem »kleinen Projekt« angefangen. Die Kandidaten von Wer wird Millionär? konnten jede Woche eine Million gewinnen, aber zweimal im Jahr – um Weihnachten herum und kurz vor Anfang der Sommerferien – wurde der Betrag
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