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Odessa Star: Roman (German Edition)

Odessa Star: Roman (German Edition)

Titel: Odessa Star: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herman Koch
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waren.
    »Er glaubt an die Reinkarnation«, sagte ich.

3
    »Papa …«
    Es dauert ein paar Sekunden, bis ich wieder weiß, wo ich bin; dann erkenne ich die vertrauten Umrisse des Gartens im frühen Morgenlicht. Am Fußende meines Liegestuhls steht mein Sohn.
    »Junge …« Ich reibe mir die Augen und versuche zu lächeln. »Wie spät ist es?«
    Mein Sohn zuckt die Achseln. »Halb acht oder so.«
    »Ist Mama schon wach?«
    Er schüttelt den Kopf. »Ich hab Kaffee gemacht. Möchtest du auch?«
    Kurz darauf kommt er mit zwei Bechern zurück; er nimmt sich einen Gartenstuhl und setzt sich zu mir. Eine Weile schweigen wir. Jetzt sind auch die ersten Geräusche der Stadt zu hören: das Zuschlagen einer Autotür, in der Ferne hört man das Rauschen des Autobahnrings, und auch die Züge auf dem Rangierbahnhof sind wieder in Bewegung gekommen.
    »Hast du eine Ahnung, wo die CD mit dem Soundtrack von Reservoir Dogs sein könnte?«, fragt David schließlich.
    Ich muss kurz nachdenken, aber dann fällt es mir wieder ein. Im Auto! Im neuen Auto, wohlgemerkt; es hat nämlich einen CD -Wechsler für sechs Scheiben, undda hatte ich die CD hineingeschoben, um während der kurzen Fahrt vom Autohändler in Amsterdam Zuidoost nach Hause mit »Stuck in the Middle with You« die Stärke der sechs Lautsprecher zu testen. Erst hatten sie den Jeep Cherokee nicht in der richtigen Farbe vorrätig. »Wenn Sie sich für einen dunkelblauen statt für einen schwarzen entscheiden, können Sie ihn Ende der Woche mit nach Hause nehmen«, hatte der Verkäufer mich umzustimmen versucht, »ein schwarzer muss aus den Vereinigten Staaten importiert werden, das dauert bestimmt vier Monate.« Doch mein Entschluss stand fest: Schwarz musste das Auto sein, schwarz oder gar nicht; dunkelblau war an sich nicht hässlich, kam aber absolut nicht infrage, da es die Farbe von Erik Menckens Land Rover war. »Hören Sie«, sagte ich und unterdrückte gerade noch rechtzeitig die Anwandlung, eine Rolle Geldscheine aus der Hosentasche zu ziehen und sie dem Verkäufer unter die Nase zu halten. »Hören Sie, ich zahle bar auf die Hand. Sie können mir nicht weismachen, dass nicht irgendwo bei einem anderen Händler in den Niederlanden oder in Europa ein schwarzer Cherokee auf einen Kunden wartet, der mehr Geduld hat als ich.« Nachdem ich ein Stündchen im Warteraum gesessen und in Zeitschriften geblättert hatte, war es so weit: Am nächsten Tag würde ein schwarzer Cherokee von Brüssel nach Amsterdam gebracht, den ich dann zwei Tage später abholen könnte.
    Ich hatte mich schließlich und endlich doch für den Cherokee entschieden, da ich davon ausging, dass David trotz seiner Kritik, es handle sich um einen Zweitwagen für gelangweilte junge Mütter, einlenken würde, sobald das schwarze Modell erst einmal dreidimensional vor der Tür stand. Und ich hatte mich nicht getäuscht: Als ich auf dem Autobahnring das Gaspedal voll durchtrat, sah ich aus dem Augenwinkel sein Gesicht. Weil »Stuck in the Middle withYou« so laut dröhnte, konnte ich seine Frage erst verstehen, als er sie mir nochmals ins Ohr schrie. »Na klar!«, schrie ich zurück.
    Auf einem Parkplatz am Amsterdamse Bos tauschten wir die Plätze. Ich erwartete mehr oder weniger, David würde das Gaspedal sofort so weit wie möglich durchtreten, doch er fuhr erst eine vorsichtige Runde. Wir hatten die Fenster heruntergelassen und stützten den Ellbogen auf. »Das ist richtig cool«, sagte er, gab etwas mehr Gas, aber erschrak und trat gleich wieder auf die Bremse.
    »Und was kostet das Ganze?«, fragte er auf dem Rückweg.
    Ich sagte es ihm. »Ich habe mich bei Wer wird Millionär? beworben«, fügte ich hinzu. »Aber bei meinen Kenntnissen dachte ich, ich leiste mir schon mal als Vorschuss ein richtiges Auto.«
     
    »Ich hole sie dir«, sage ich und will aufstehen, aber David winkt ab. »Ich wollte nur wissen, wo sie ist«, sagt er. Einige Minuten lang trinken wir schweigend unseren Kaffee.
    »Heute ist die Beerdigung«, sagt er schließlich. »Von deinem Freund.«
    »Ja.« Ich halte die Luft an und warte auf das, was kommt. Unwillkürlich blicke ich zu unserem Schlafzimmerfenster im zweiten Stock hinauf, aber die Vorhänge sind noch geschlossen.
    »Er ist erschossen worden, nicht?«
    »Ja.«
    »Von wem?«
    »Das wissen wir … das wissen sie noch nicht. Die Ermittlungen der Polizei laufen ja noch.«
    Ich richte mich auf. Etwas in mir möchte sich entspannen, möchte, dass dieses Gespräch mit David nie

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