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Odessa Star: Roman (German Edition)

Odessa Star: Roman (German Edition)

Titel: Odessa Star: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herman Koch
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Stimme mussteihn alarmiert haben, er sah rasch hinter sich, ob genug Platz zwischen den Kartons und den Möbeln war, sollte es zu Tätlichkeiten kommen. »Findest du dich witzig? Fühlst dich dadurch besser? Oder nur einfach interessanter?«
    »Nein«, sagte er, »überhaupt nicht.« Es gelang ihm aber nicht, ein leises Zittern in seiner Stimme zu unterdrücken. »Ich dachte nur …«
    »Seid ihr da drin?« Christine stand plötzlich in der Türöffnung, in jeder Hand eine Bierdose.
    Auf dem Gesicht meines Schwagers breitete sich ein Grinsen aus. »Ich dachte nur, kommt nicht irgendwann der Moment, wo du dich revanchieren musst?« Er sagte es so leise, dass Christine es unmöglich hören konnte. »Der Moment des Gegendienstes, meine ich. So läuft das doch in dem Milieu? Da gibt’s doch nichts umsonst?«
     
    »Onkel Fred …« Ich fühlte Tamars kleine Hand in meiner. »Komm«, sagte sie und zog mich sanft hinter der Konifere hervor. An meinem Schwager und meiner Schwägerin vorbei und noch an ein paar Gästen, die mir vage bekannt vorkamen – es mussten Freunde von Christine sein oder Leute aus der Nachbarschaft, die ich nicht so genau kannte –, lotste sie mich durch die Küche ins Wohnzimmer, das heißt, sie blieb an der Tür stehen und legte den Finger auf die Lippen.
    Ich steckte den Kopf um die Ecke und sah Wilco am neuen Computertisch sitzen. Der Bildschirm war schwarz, ich hatte den Computer zwar am Abend zuvor in unser »neues« Wohnzimmer gestellt, ihn aber noch nicht angeschlossen. Doch Wilco schien das nicht zu stören: Er saß mit ausgebreiteten Armen auf seinem Stuhl und ahmte das Brummen eines Flugzeugmotors nach. Nach ein paar Runden stürzte das Flugzeug, Wilcos Geräuschen und Armbewegungen nach zu urteilen, ab, worauf er ein paar Tasten betätigte und von vorne anfing.
     
    Ich schaute die kleine Tamar an, die sich an die Stirn tippte. Ich nickte heftig, tippte mir ebenfalls an die Stirn und hockte mich vor sie.
    »Dein Bruder ist völlig plemplem«, sagte ich, während ich darüber nachdachte, wie um Himmels willen es möglich war, dass zwei so abscheulich taube Nüsse sowohl dieses süße Geschöpf als auch die »hochbegabte« Missgeburt hervorgebracht hatten.
    »Und wie geht’s Papa und Mama?«, fragte ich.
    Tamar hob die Schultern. »Geht so.«
    Ich tat einen tiefen Seufzer und zeigte mit dem Kopf aufs Wohnzimmer, aus dem wieder das Geräusch eines abstürzenden Flugzeugs erklang. »Wenn du es zu Hause nicht mehr aushältst, kannst du immer eine Zeit lang bei uns wohnen. Hier ist Platz genug.«
    Tamars große schwarze Augen sahen mich forschend an; ich löste meine Hand aus der Umklammerung ihrer Finger. »Ich meine es ernst. Du bist ein sehr liebes, intelligentes Mädchen. Und du hast es nicht verdient, mit solchen Arschlöchern und Vollidioten unter einem Dach leben zu müssen.«
    »Frau de Bilde!«
    Ich fuhr hoch, verlor das Gleichgewicht und landete unsanft mit dem Rücken an der Wand des Flurs. »Frau de Bilde!«, tönte es nochmals. Die Stimme kam mir irgendwie bekannt vor, es war eine Männerstimme, die eine Frauenstimme nachzumachen versuchte.
    »Hahahaha!«, hörte ich jetzt gleichzeitig mit dem Klappern des Briefkastendeckels, und als ich hinschaute, sah ich ein mir nur allzu bekanntes Gesicht durch den Spalt lugen.
    »Was für ein Schreck«, sagte Max immer noch lachend, nachdem ich ihm die Tür geöffnet hatte; neben ihm stand die lange Sylvia in weißem T-Shirt und Jeans, Richard H. stand noch beim Mercedes und schloss das Verdeck. »Mensch, als hättest du ein Gespenst gesehen!«

    Ich grinste und streckte die Hand aus. »Kommt herein«, sagte ich und bemühte mich, es herzlich klingen zu lassen. Vor ein paar Wochen hatte ich Max von der Einweihungsparty unterrichtet, weil es merkwürdig gewesen wäre, wenn ich es nicht getan hätte. Andererseits hatte ich keinen Moment geglaubt, er würde wirklich kommen, und schon gar nicht mit Gefolge. Als Sylvia mir ihre Wange zur Begrüßung hinhielt, fühlte ich, wie sich auch Sharon an meinen Beinen entlang ins Haus schob.
    »Hallo Schätzchen«, sagte Sylvia und küsste die Luft neben meinen Wangen. Die beiden Mädchen, Sharon und Tamar, standen sich einen Augenblick lang reglos gegenüber und rannten dann wie auf Kommando gemeinsam in den Garten hinaus. Max stand schon in der Küche, als Richard H. mir als Letzter die Hand drückte. »Hallo mein Junge«, sagte er; aus großer Höhe zwinkerte er mir zu.
    »Richtig hübsch geworden«,

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