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Odessa Star: Roman (German Edition)

Odessa Star: Roman (German Edition)

Titel: Odessa Star: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herman Koch
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waren noch drei weitere pro Mann gefolgt, und es schien mir zweifelhaft, ob jemand außer mir unter diesen Voraussetzungen in Max’ Auto gestiegen wäre. Aber ich musste etwas loswerden – und außerdem hatte ich gar nichts dagegen, mit viel zu hoher Geschwindigkeit durch die Stadt zu preschen. »Er macht die ganze Zeit solche Anspielungen, als ob er etwas wüsste. Was unten passiert ist, meine ich.«
    »Dann weiß er mehr als ich«, sagte Max, während er beim Frederiksplein in voller Fahrt in die Sarphatistraat abbog.

    Ich musterte ihn von der Seite. Obwohl es längst dunkel war, hatte er immer noch die Sonnenbrille auf. »Dann bleibt man konzentriert«, hatte er einmal auf eine entsprechende Frage geantwortet. »Aber einen Radfahrer ohne Rücklicht sehe ich in der Tat zu spät.« Und dann hatte er erzählt, dass er auf Landstraßen oft die Scheinwerfer ausschalte und die Fenster runterfahre; er fühle sich »der Natur ein Stück näher«, wenn er mit hoher Geschwindigkeit über die Alleen rase. »Manchmal mache ich auch die Augen zu, aber wenn man die Zweige gegen die Karosserie schlagen hört, sollte man sie schleunigst wieder aufmachen.«
    »Ich weiß nicht«, sagte ich, »aber nachdem ihr neulich bei uns wart, weißt du noch, als der Hund Richard ankläffte, kam mein Schwager noch zu mir und schwafelte irgendwas von wegen, dass er jetzt Bescheid weiß. Keine Ahnung, was er eigentlich will, aber es ist ganz schön ermüdend.«
    Und es war nicht nur mein Schwager. Ein paar Tage nach dem Vorfall mit Wuff hatte meine Frau mich ohne Umschweife gefragt, ob ich etwas mit dem Verschwinden von Frau de Bilde zu tun habe.
    »Ist das auf deinem Mist gewachsen oder hat dein Arschloch von einem Bruder dir das eingeblasen?«, hatte ich sie gefragt.
    »Hast du etwas damit zu tun, Fred?« Sie ließ nicht locker. Sie guckte nicht traurig oder entrüstet, einfach nur ernst. Ich breitete meine Arme aus, als wollte ich sie beruhigend an die Brust drücken, gleichzeitig dachte ich an die Szene am Ende von The Godfather I, wo Al Pacino von seiner Frau gefragt wird, ob er hinter den letzten Massakern und Abrechnungen innerhalb der Familie stecke.
    »Nein«, sagte ich und legte die Arme um sie.
    »Dein Schwager, mal kurz überlegen«, sagte Max. »So ein griesgrämiger Typ?«
    »Ja.«

    »Mit einer Frau, für die man ihn auch unter Androhung von Gewalt nicht aus der Hose holt?«
    »Ja, du scheinst sie gesehen zu haben.«
    »Nicht nur das, ich habe noch eine Weile mit ihr geplaudert. Ein Tick von mir. Es fasziniert mich einfach, ich will sie aus der Nähe sehen, diese Frauen. Ich will sie reden hören und lächeln sehen, wenn ich ihnen wegen irgendwas ein Kompliment mache. Vielleicht ist das krankhaft, aber was macht man dagegen?«
    Bei den Ampeln vor der Wibautstraat fuhr Max über die Straßenbahnschienen und bog mit quietschenden Reifen rechts ab. »Ihre zwei Kinder rannten im Garten herum. Schienen ganz okay, aber ich finde es doch immer wieder erstaunlich, dass solche Leute Kinder kriegen dürfen.«
    »Ja.«
    »Also dein Schwager, was willst du unternehmen?«
    Ich holte tief Luft. »Das wollte ich eigentlich dir überlassen.«
    Auf dem Platz vor dem Amstelbahnhof nahm Max die Abzweigung unter der Unterführung zur Hugo de Vrieslaan; auf der Höhe Frankendaelparks fuhr er langsamer, schaltete die Scheinwerfer aus und öffnete die Fenster. Eine ländliche Sommerabendluft drang herein.
    »Ich kann natürlich immer Richard H. vorbeischicken, der ihm mal auf die Finger klopft«, sagte er. »Aber andererseits können wir gerade jetzt mit unserem Wer-wird-Millionär -Plänchen keinen Ärger gebrauchen.«
    Bei der Erwähnung des Quizprogramms rutschte mir das Herz in die Hose; ich dachte an Erik Menckens Gesicht, ein dumpfer Schmerz drückte mir von innen gegen die Augen.
    »Und wenn er ganz vom Erdboden verschwindet?«
    Max schob sich eine Zigarette zwischen die Lippen und drückte auf den Anzünder. »Ich habe seine Kinder gesehen«, sagte er. »Dann fällt es mir immer schwerer. Sie sindnoch klein, sie brauchen ihren Vater, auch wenn er eine Niete ist.«
    Ich seufzte laut. »Er gammelt nur herum. Er meditiert oder setzt Puzzles zusammen, die aus mehr als fünftausend Teilen bestehen. Ich meine, man kann sich doch wirklich fragen, ob die Kinder nicht besser dran sind, wenn ihr Vater für sie nur eine blasse Erinnerung ist. Ein Schnappschuss im Fotoalbum.«
    Im Schritt näherten wir uns dem Middenweg, wo die Ampeln schon ausgeschaltet

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