Odice
nebeneinander, Juliens eines Bein zwischen Odice’ Schenkeln, sein Arm über ihrer Brust. Odice strich mit den Fingerspitzen zärtlich durch sein zerzaustes schwarzes Haar. Seine wundervollen Augen schimmerten jetzt warm und voller Zärtlichkeit.
Anfangs hatte sie geglaubt, die beiden Brüder unterschieden sich in nichts als in ihrem Alter. Ihre dominante, bisweilen sadistische Lust schien den gleichen Regeln zu folgen, von den gleichen verdorbenen Fantasien geleitet zu werden. Beide hatten sie am Abend ihrer Ankunft auf die gleiche rücksichtslose Weise benutzt und schienen in stillem Einvernehmen zu handeln, wie in einer geistigen Symbiose. Doch tatsächlich trennten diese beiden Männer Welten. Erics Triebe waren roher und gewalttätiger und er scherte sich nur wenig darum, ob Odice dabei Lust empfand oder nicht. Bei Julien lagen die Dinge anders. Wenn er sie berührte, geschah es mit echter Hingabe und wenn er sie schlug, sah sie den Schmerz in seinen azurblauen Eisaugen. Nie verschaffte er sich Befriedigung an ihr oder fügte ihr Schmerzen zu, ohne sie dafür im Anschluss zu belohnen. Er verließ sie nicht, ehe auch sie Erfüllung gefunden hatte und – mon dieu – was hatte er ihr für Orgasmen beschert. Egal ob er sie liebte oder quälte, sie streichelte oder schlug, immer fühlte sie sich von ihm begehrt und nie hatte er ihr das Gefühl gegeben, schmutzig und erbärmlich zu sein, weil sie sich ihm unterwarf.
Julien drehte sich auf den Bauch und stützte die Arme auf die Ellbogen, um Odice betrachten zu können.
»Du bist wunderschön, meine hinreißende rothaarige Hexe«, sagte er verträumt.
Sie lächelte ein bittersüßes, unergründliches Lächeln, das ihre giftgrünen Augen erstrahlen ließ und Julien musste den Blick abwenden, um nicht in diesen Sog gezogen zu werden, der so verhängnisvoll für ihn sein würde.
Odice setzte sich auf und ließ ihre Fingernägel sanft über seine Schultern gleiten. Er gab einen genüsslichen Laut des Wohlbefindens von sich und so massierte sie ihn ein wenig, wie er es so oft bei ihr getan hatte. Ihr Blick wanderte über seinen hingestreckten Leib, über seinen wundervoll knackigen Po und seinen schlanken, muskulösen Rücken.
»Was sind das für Narben?« fragte sie plötzlich und strich mit dem Zeigefinger über die Stelle unterhalb seines linken Schulterblatts.
Sie spürte im selben Moment, wie sich sein Körper unter ihren Händen verspannte.
»Ach, die sind uralt«, murmelte er knapp.
Vermutlich wären ihr die eine Nuance helleren Hautpartien bei anderer Beleuchtung gar nicht aufgefallen, doch so hoben sich die drei regelmäßigen Striemen, von denen zwei links und rechts über seiner Hüfte verliefen, schimmernd von seinem gleichmäßig gebräunten Körper ab.
Doch Odice ließ sich nicht beirren. Ihre Neugier war geweckt. Sanft fuhr sie die Linie nach, die etwa von seiner Achsel bis zur Wirbelsäule quer über seinen Rücken verlief. Einfühlsam fragte sie: »Welche Art von Verletzung hinterlässt solche Narben?«
Der strenge Blick, der sie aus seinen eisblauen Augen traf, ließ Odice’ Hand zurückzucken.
»Lass dir einen guten Rat geben, Odice. Wirble keine kalte Asche auf. Sie wird dir in die Augen fliegen, ma chère .« Seine schöne Stimme klang jetzt drohend, mit einem missbilligend knurrenden Beiklang darin.
Dann rappelte er sich auf und sammelte seine Sachen zusammen.
»Zieh dir etwas an. Ich werde dir Sada schicken, damit sie dich in dein Zimmer bringt.« Die Kälte seiner Worte ließ sie frösteln.
Wieder musste Odice das Mittagessen allein einnehmen. Draußen schien die Sonne und sie saß in diesem Zimmer fest, wie in einem goldenen Käfig. Es war frustrierend und todlangweilig. Lustlos wandte sie sich erneut dem so übersichtlichen wie einseitigen Bücherstapel auf ihrem Nachttisch zu. Aber dort lagen gar nicht mehr Miller, Groult und Sade, sondern das bibliophile Tausendundeine-Nacht-Buch sowie zwei Bände der alten Oscar-Wilde-Ausgabe aus der Bibliothek. Odice musste lächeln. Er war in dieser Situation so abweisend zu ihr gewesen und doch hatte er sich gemerkt, für welche Bücher sie sich interessiert hatte. Besonders die orientalische Märchensammlung hatte sie nur ganz kurz berührt und nicht einmal aus dem Regal genommen. Das war bemerkenswert. Dennoch entschied sie sich für Wilde und ließ sich mit dem Märchen von der Nachtigall und der Rose in ihrem Sessel nieder.
Es wurde bereits dunkel, als Sada die Tür aufschloss. Unterm
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