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Odins Insel

Odins Insel

Titel: Odins Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janne Teller
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Rikke-Marie auf die Klippen die Kleider gewechselt hatte, war sie zum ersten Mal hier unten. Da waren zwei einander gegenüberliegende Kojen und neben der einen ein kleiner Tisch. Über beiden Kojen hingen mit Büchern gefüllte Regale, und ansonsten gab es ein paar Schränke, eine Kiste, ein Radio und zwei Bullaugen, das war alles.
    »Ssst, da schläft Odin.« Der Fischer Ambrosius zeigte auf eine niedrige Tür in der Wand. Dann setzte er Sigbrit Hollands Tasche auf die Koje hinter dem kleinen Tisch. Sie war bereits hergerichtet, aber niemand hatte darin geschlafen.

    Sigbrit Holland fragte sich, für wen der Fischer sie hergerichtet hatte. Von Brynhild Sigurdskaer war nichts zu sehen, aber ihr Rucksack stand hinten in der Koje.
    »Es tut mir Leid, dass ich dich geweckt habe.«
    »Heute Nacht musst du hier schlafen. Morgen kannst du mit Odin tauschen, wenn du willst«, brummte der Fischer, ohne sie anzusehen.
    Sigbrit Holland nickte. Ihre Koje und die des Fischers lagen anderthalb bis zwei Meter auseinander, und durch die plötzliche Nähe fühlte sie sich gehemmt. Er offensichtlich auch.
    »Bad und Toilette sind oben«, murmelte der Fischer Ambrosius und zeigte auf die andere niedrige Tür, die sich hinter der Leiter befand.
    Sigbrit Holland zog ihren Pullover über den Kopf.
    »Ambrosius, danke«, sagte sie leise.
    Der Fischer lächelte und rieb sich das Kinn.
    »Wir sind es, die zu danken haben«, antwortete er warm. Dann murmelte er fast barsch: »Gute Nacht«, und wandte ihr den Rücken zu.
    Sigbrit Holland holte ihre Toilettentasche heraus und ging ins Bad. Als sie zurückkam, lag der Fischer Ambrosius bereits mit geschlossenen Augen unter dem Federbett. Sie schlich sich zu ihrer Tasche, suchte in ihren Sachen nach ihrem Schlafanzug, zog ihn mit dem Fischer zugewandten Rücken an und kletterte in ihr Bett. Trotz ihrer Erschöpfung konnte sie nicht einschlafen. Gedanken und abgerissene Sätze schwirrten ihr durch den Kopf, und sie drehte sich von einer Seite auf die andere. Sie dachte an den Brief, den sie an die Bank geschrieben hatte, an den Anruf bei ihren ungläubigen Eltern und an den unerfreulichen Streit mit ihrem Mann. Wenn du jetzt gehst, brauchst du nicht mehr zurückzukommen, hatte er gesagt. Es tut mir Leid, hatte sie geantwortet, aber ich muss es tun. Dann mach’s gut! Fridtjof hatte die Tür hinter sich zugeknallt, und sie hatte ihre Sachen gepackt.
    Früh am nächsten Morgen, kurz nachdem Sigbrit Holland endlich eingeschlafen war und die Sonne langsam einen neuen Tag versprach, nahm das grün-orangene Fischerboot Kurs auf Altnorden.

     
    Benjamin Adelstensfostre war jünger, als Sigbrit Holland ihn sich vorgestellt hatte, vielleicht ein paar Jahre jünger als sie selbst. Er war groß und dünn und hatte große verträumte Augen in einem schmalen, fast femininen Gesicht. Sein dunkelblondes Haar, das bis auf die Schultern reichte, war zurückgekämmt und jedes Mal, wenn er sich bewegte, strich es über sein schwarzes Seidenhemd.
    Mit einem Lächeln, einem fast scheuen Lächeln, führte Benjamin Adelstensfostre den Fischer Ambrosius und Sigbrit Holland in ein Zimmer, das das Wohnzimmer sein musste, auch wenn es allen anderen glich. Ein Flügel, der neben einer großen Stereoanlage und einem sehr modernen Aufnahmegerät stand, füllte fast die Hälfte des Raums aus. In der anderen Hälfte herrschte ein enormes Durcheinander. Überall lagen Sachen herum. Kleidung lagerte zwischen Stapeln von Büchern, Notenpapier, einer Violine und einer Flöte, vollen und leeren Flaschen, gebrauchten Gläsern und ein paar schmutzigen Tellern. Benjamin Adelstensfostre entschuldigte sich nicht für die Unordnung, schob nur Kleidung und Bücher auf dem Sofa zur Seite, um seinen Gästen Platz zu machen. Er selbst setzte sich in einen zerfetzten Lehnstuhl auf der anderen Seite des überfüllten Sofatisches. Ohne sie erst zu fragen, goss er kalten Holundersaft in drei Gläser. Er summte eine leise Melodie vor sich hin und lächelte verlegen, während er darauf wartete, dass sie mit der Sprache herausrückten. Sigbrit Holland erwiderte sein Lächeln, überzeugt, dass er nicht im Stande war, ihnen zu helfen. Aber sie sollte sich irren.
    »Kapitän Hans Adelstensfostre« wiederholte er langsam, nachdem sie gefragt hatte. »Ja, wir sind alle Nachkommen von ihm, alle Adelstensfostres in Altnorden.« Seine Stimme war schleppend, aber sein Altnordisch klar und leicht zu verstehen. Während er sprach, sah er Sigbrit Holland

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