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Odins Insel

Odins Insel

Titel: Odins Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janne Teller
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rollte sich auf die andere Seite und stöhnte leise vor Schmerzen. Im Licht der Begebenheiten der letzten Tage bittet die südnordische Regierung Herrn Odin Odin eindringlich unverzüglich nach Südnorden zurückzukehren. Sollte dies nicht möglich sein, wird er aufgefordert, sich umgehend mit der nächsten südnordischen Botschaft in Verbindung zu setzen, um seinen Aufenthaltsort bekannt zu geben. Auf Grund der Wichtigkeit der Angelegenheit nimmt die Polizei gern alle Informationen entgegen, die Aufschlüsse über Herrn Odin Odins Aufenthaltsort geben können. Sigbrit Holland öffnete die Augen und starrte auf die Planken über ihrem Kopf, aber die Worte, die jede Stunde in den Nachrichten wiederholt wurden, dröhnten weiter in ihrem Kopf. Sie dachte an Herrn Bramsentorpf. Sie konnten jetzt nicht zurücksegeln, nicht bevor sie den Eremiten zum Reden gebracht hatten.
    Als Sigbrit Holland das erste Mal aufgewacht war, hatte sie mit einem primitiven Verband um das linke Schienbein und einem schneidenden Schmerz in Kopf und Rücken auf der Bank des Steuerhauses gelegen. Harald Adelstensfostre war nicht da, aber der Fischer Ambrosius hatte ihr erzählt, wie der Eremit mit einer bewusstlosen Sigbrit Holland auf dem Arm vor einigen Stunden plötzlich in der Tür des Steuerhauses gestanden hatte. Ohne etwas anderes als die Namen der Dinge zu nennen, die er brauchte, hatte der Eremit ihre Wunde gereinigt und verbunden und sofort darauf das grün-orangene Fischerboot ohne ein Wort zu Odin oder dem Fischer wieder verlassen.
    Das war jetzt vier Tage her. Die Kopfschmerzen waren fast verschwunden, und abgesehen von den blauen Flecken und einem leichten Schmerz im Rücken hatte Sigbrit Holland sich erstaunlich schnell erholt. Das bedeutete leider auch, dass die Rikke-Marie bei Sonnenaufgang den Anker lichten und Kurs auf
Karlsund nehmen würde. Während Sigbrit Holland krank gewesen war, hatten der Fischer Ambrosius und Odin noch mehrere Versuche unternommen, Kontakt zu dem Eremiten aufzunehmen, aber sie waren auf größere Feindseligkeit als je zuvor gestoßen. Es bestand kein Grund, mehr Zeit auf ihn zu verschwenden, hatte der Fischer gesagt und sich geweigert, Sigbrit Hollands Einwänden zuzuhören; die Herbststürme waren im Anmarsch.
    Langsam stand Sigbrit Holland auf. Sie zog sich einen dicken Pullover über den Kopf und schlich durch die mittlere Kajüte an dem schlafenden Fischer vorbei die Leiter hinauf zum Steuerhaus. Odin schlief auf der Bank vor dem Steuerhaus, das Gesicht dem offenen Himmel zugewandt – er hatte gesagt, dass er ihn an etwas erinnerte, obwohl er nicht genau wusste, an was –, und um ihn nicht zu stören, ging Sigbrit Holland zum Bootssteven.
    Sie setzte sich an den Rand des Decks und ließ die Füße in der Luft über der Wasseroberfläche baumeln. Es war eine kalte neblige Nacht, die Wolken legten einen Schleier über Sterne und Mond und gaben der Stille einen Unheil verkündenden Hauch. Nur noch wenige Stunden, und der neue Tag würde anbrechen. Sigbrit Holland suchte verzweifelt nach einer Idee, die den Fischer überzeugen konnte, noch ein paar Tage zu bleiben. Aber ihr fiel nichts ein, was sie nicht bereits versucht hatte, und nach einer Weile schlief ihr eines Bein ein, und die raue Feuchtigkeit der niedrigen Wolken ließ sie vor Kälte zittern. Sie stand auf und ging einige Male unruhig auf Deck hin und her. Dann gab sie auf und kletterte lautlos wieder die Leiter hinunter. Sie wollte sich gerade an dem Fischer vorbeischleichen, der fest schlief, und die Tür zur vorderen Kajüte öffnen, als sie plötzlich die Hand zurückzog und wartete. Ihr Blick fiel auf das Gesicht des Fischers.
    Er sah unbekümmert aus, und die tiefen Atemzüge kamen regelmäßig und ohne Zögern. Seine Augenlider waren ruhig über den Augen geschlossen, die Stirnfalten hatten sich geglättet, und seine Lippen kräuselten sich in einem leichten Lächeln. Sigbrit Holland versuchte das Lächeln zu erwidern. Sie zwang die Mundwinkel nach oben, aber es klappte nicht, sie brachte nur eine erstarrte Grimasse zu Stande. Was sie wollte, war ein richtiges
Lächeln, das Lächeln des Fischers Ambrosius. Sie beugte sich vor, und ganz langsam, um ihn nicht zu wecken, berührte sie seine Lippen mit den ihren. Unter der aufgesprungenen Oberfläche waren sie weich und ein wenig geöffnet und schienen zu einer Welt zu gehören, die nichts mit ihr oder Odin zu tun hatte. Mit plötzlicher Verzweiflung sehnte sich Sigbrit Holland danach,

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