Odins Insel
aller Anstrengung nicht kommen konnte, war, dass der beinahe legendäre Lennart Torstensson beschlossen hatte, sich den Verhandlungswert von Herrn Bramsentorpf zu Nutze zu machen, wenn die unverständigen Geiselnehmer das nicht taten. Er war sogar so weit gegangen, den ganzen Weg nach Fredenshvile zu reisen, um jeden der zehn Briefe eigenhändig in den Briefkasten zu werfen. Trotzdem war das Resultat ausgeblieben. Die südnordische Regierung hatte nichts anderes unternommen, als einen Aufruf auszusenden, in dem Herr Odin Odin aufgefordert wurde, sofort nach Südnorden zurückzukehren. Als würde der beinahe legendäre Lennart Torstensson darauf hereinfallen.
Nein, der beinahe legendäre Lennart Torstensson hatte nicht die Absicht, länger darauf zu warten, das Beinahe streichen zu können, deshalb beschloss er, dass ihm etwas Effektiveres einfallen musste.
Nachdem er eine Weile nachgedacht hatte, sah er ein, dass er den kleinen alten Mann in Wirklichkeit gar nicht brauchte, um die Insel zu einem Teil Nordnordens zu machen; Herrn Odin
Odins Abwesenheit könnte sich in der Tat sogar als günstiger erweisen. Die Idee war nicht weniger als hervorragend; der beinahe legendäre Lennart Torstensson würde die Südnordländer mit ihren eigenen Mitteln schlagen! Die südnordische Regierung würde nie – weder jetzt noch später – Herrn Odin wieder auferstehen lassen können, ohne gleichzeitig ihren Anspruch auf die Insel aufgeben zu müssen.
Zum ersten Mal seit mehreren Monaten blieb der beinahe legendäre Lennart Torstensson bis spätabends im Büro. Er arbeitete stundenlang am Computer und schlug gewissenhaft jedes einzelne Wort in seinem nordnordisch-südnordisch Wörterbuch nach. Es war nach acht, und das Kommissionsgebäude hatte sich bereits vor langer Zeit von seinem menschlichen Inhalt entleert, als der beinahe legendäre Lennart Torstensson endlich zufrieden war. Er druckte den Brief in sechs Kopien aus und steckte fünf davon in Briefumschläge, die er – mithilfe der Schreibmaschine der Sekretärin – an den südnordischen Staatsminister, die Königin von Südnorden und die drei größten südnordischen Tageszeitungen adressierte. Die letzte Kopie steckte der beinahe legendäre Lennart Torstensson in eine Plastikhülle, die er in seine Mappe legte: Ordnung muss sein , wie in seinem Notizbuch mit den wichtigen Lehrsätzen stand. Pfuscharbeit sollte nicht die legendären Taten eines legendären Mannes unterminieren. Schließlich rief er am Bahnhof an und reservierte für denselben Abend einen Platz im Zug nach Fredenshvile.
Der beinahe legendäre Lennart Torstensson löschte das Licht in seinem Büro, zog seinen Mantel an und schloss die Tür hinter sich, nur um sie im nächsten Moment wieder zu öffnen, den Mantel auszuziehen und das Licht anzumachen. Beinahe hätte er einen schicksalsschweren Fehler begangen – ein Brief von Herrn Odin Odin, abgeschickt und abgestempelt in Fredenshvile wäre – in den Augen der südnordischen Öffentlichkeit – nicht glaubwürdig, da die südnordische Regierung die Öffentlichkeit glauben gemacht hatte, dass sich Herr Odin Odin nicht in Südnorden aufhielt. Das würde nicht nur Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Briefes aufkommen lassen, es würde der südnordischen Regierung auch aus der Klemme helfen – was bedeutend schlimmer
war.
Bereits nach wenigen Minuten der Überlegung riss der beinahe legendäre Lennart Torstensson entschlossen die fünf eingetüteten Briefe in minutiöse kleine Stücke und ging mit festen Schritten den Gang hinunter zu Herrn Hölzerns Büro. Er griff nach der Klinke und atmete erleichtert auf, die Tür war nicht verschlossen. Um nicht die Aufmerksamkeit von Passanten auf sich zu ziehen, machte er kein Licht, sondern tappte durch das Zimmer zum Schreibtisch und setzte sich. Er tastete sich zum Computer vor und fand den Startknopf. Er hatte kein Problem, in das Programm zu kommen. Es war kein Geheimnis, dass Herr Hölzern leidenschaftlich in seine Frau verliebt war. Frau Hölzerns Vorname, Ursula, führte umgehend zum Resultat, und der beinahe legendäre Lennart Torstensson war sofort im Internet, zu dem der Computer in seinem Zimmer keinen Zugang hatte.
Der beinahe legendäre Lennart Torstensson schrieb den Brief noch einmal, und diesmal begnügte er sich nicht mit fünf Empfängern. Da es leicht war und da es jeglichen potenziellen Versuch, die Geschichte zu vertuschen, im Keim ersticken würde, ließ er den Brief an die gesamte
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