Odins Insel
»Das klappt nie. Rufen wir stattdessen lieber unsere Regierung an und sagen, dass der Brief nicht von Odin stammt, sondern von irgendeinem Fälscher, und dass Odin gerne nach Südnorden zurückkommen wird, wenn die Regierung dafür Sorge trägt, dass er auf die Insel gebracht wird.«
»Wie soll sie das denn machen, holde Frau?«
Plötzlich erstarrte der Fischer. Er drosselte das Tempo der Rikke-Marie und zeigte nach steuerbord. Ein Boot der Küstenwache war in der Ferne zu erahnen. Es hielt direkten Kurs auf die Rikke-Marie.
»O nein«, murmelte Sigbrit Holland und starrte angespannt auf das weiße Motorboot, das sich schnell näherte. Es wäre sinnlos zu versuchen, vor ihm davonzusegeln.
Bald konnten sie drei Personen auf der Brücke des Motorboots unterscheiden.
»Es gibt kein Unglück, dem ein wenig Glück nicht abhelfen kann«, sagte Odin ruhig mit der Hand auf dem Hufeisen in seiner Brusttasche, und genau in diesem Augenblick fuhr das Motorboot an ihnen vorbei, ohne dass die Küstenwache auch nur in Richtung des grünen Fischerbootes geblickt hätte, das früher einmal grün-orange gewesen war.
Sigbrit Holland atmete erleichtert auf und setzte sich wieder.
»Ich befürchte, wir werden furchtbar viel Glück brauchen, um sicher nach Hause nach Südnorden zu kommen«, brummte der Fischer bekümmert und griff die Diskussion von vorher wieder auf. »Unabhängigkeit ist der einzige Kompromiss, der es der südnordischen und der nordnordischen Regierung erlaubt, aus der derzeitigen Verhandlungsflaute herauszukommen, ohne dass einer sein Gesicht verliert. Es ist die einzige Möglichkeit, die es gibt, wenn der Konflikt sich nicht jahrelang fortsetzen soll. Und wer auch immer diesen Brief geschrieben hat«, der Fischer zeigte auf die zusammengefaltete Zeitung, »er hat Recht. Niemand anderer als Odin kann die Selbstständigkeit der Insel fordern.«
»Aber da sind doch auch noch der Schmied und die alte Rikke-Marie und Mutter Marie und Onkel Eskild, dessen Gehör etwas zu wünschen übrig lässt, und der Bäcker und Ida-Anna und Ingolf und alle Kinder, ganz zu schweigen von dem langen Laust aus Posthusby«, fiel Odin ein. Er nickte vor sich hin, als ginge ihm plötzlich etwas auf. »Aber dann müssten sie natürlich mit Herz und Hirn versuchen, das Meer zuzufrieren und zum Kontinent gehen, um mit Herrn Bramsentorpf und seinen Beamten zu reden, und es ist wahrlich nicht sicher, dass sie Lust und Zeit dazu haben.«
Sigbrit Holland lächelte.
»Nun, da könnten Sie Recht haben«, sagte sie zu Odin.
»Deshalb erledige ich die Arbeit wohl besser selbst.« Sie wandte sich an den Fischer Ambrosius. »Wo finde ich einen Computer, den ich benutzen kann?«
»In einer öffentlichen Bibliothek vermutlich?«
»Nein«, antwortete Sigbrit Holland. »Öffentliche Einrichtungen sind ungeeignet. Es muss eine Einrichtung sein, wo niemand entdecken kann, was ich tue. Eine Einrichtung, zu der der Brief nicht zurückverfolgt werden kann.« Sie warf dem Eremiten einen Blick zu, und plötzlich erhellte sich ihr Gesicht.
Der Fischer las ihre Gedanken und schüttelte den Kopf.
»Es muss eine andere Möglichkeit geben«, brummte er.
Odin sah von einem zum anderen.
»In schweren Zeiten sind Feinde, die einem helfen können, besser als Freunde, die einem nicht helfen können«, bemerkte er leise.
Der Unterzeichnende möchte hiermit die nordnordische Regierung davon in Kenntnis setzen, dass der Unterzeichnende weder jetzt noch in Zukunft einen Fuß nach Nordnorden setzen wird, wenn die nordnordische Regierung nicht für immer und ewig ihren Anspruch auf die Insel aufgibt, die von der nordnordischen Regierung Hermod-Skjalm-Insel und von der südnordischen Regierung Drude-Estrid-Insel genannt wird. Erlauben Sie mir bei dieser Gelegenheit der nordnordischen Regierung meine höchste Achtung und meinen Respekt auszusprechen.
Hochachtungsvoll
Odin Odin
Sofort war der südnordische Staatsminister weniger ungehalten über den kleinen alten Mann.
»Ha, jetzt sitzen wir wieder am längeren Hebel«, sagte er und knickte vergnügt alle Finger der linken Hand. »Der kleine alte Mann kommt nach Südnorden zurück, sobald wir den Anspruch auf die Insel aufgeben, aber er hat nicht gesagt, dass er gedenkt, nach Nordnorden zu gehen, selbst wenn die nordnordische Regierung
ihren Anspruch aufgibt.«
»Ja«, sagte der Verteidigungsminister langsam und räusperte sich. »Es gibt nur ein kleines Problem, und das heißt Öffentlichkeit.
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